Politologin Deitelhoff: Gewissheiten stehen zur Disposition

Die Friedens- und Konfliktforscherin Deitelhoff lobt die Kirche für ihre Debattenkultur. Nicht nur die Kriege selbst seien besorgniserregend, sondern auch deren Auswirkungen auf Gesellschaften.

Nicole Deitelhoff vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)
Nicole Deitelhoff vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)epd-bild/ Christian Ditsch

Die Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff lobt die evangelische Kirche für ihre Debattenkultur in der Frage um die richtige Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine. „Manche mögen bedauern, dass die Kirche in dieser Hinsicht nicht eindeutig ist, dass sie so plurale, in Teilen sogar gegensätzliche Positionen vertritt“, sagte Deitelhoff laut Manuskript bei der zentralen Reformationsfeier der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Wiesbaden. Doch sie sehe dies als Teil der kirchlichen Rolle in Kriegszeiten.

Die Kirche solle „auch Spiegel der Gesellschaft sein, ihrer Ängste und Sorgen“, erklärte die Leiterin des Peace Research Institute Frankfurt – Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung. Jenseits aller materiellen Realitäten und Ressourcenfragen stünden Gewissheiten, politische Wahrheiten und Selbstverständnisse zur Disposition. Es gehe um die Frage, ob eine unbedingte Kriegsvermeidung aufrechtzuerhalten sei angesichts eines Gegners, der keine Grenze in seinem Expansionsdrang erkennen lasse und systematisch Kriegsverbrechen begehe, sagte die Politologin.

Deitelhoff: Innerer Frieden unserer Gesellschaft geht verloren

Nicht nur die Kriege in der Ukraine und in Gaza selbst seien besorgniserregend, sondern auch deren Auswirkungen auf krisengestresste Gesellschaften, erklärte Deitelhoff: „Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, einander zuzuhören, Meinungsunterschiede auszuhalten und trotzdem aneinander festzuhalten, geht nicht nur der äußere, sondern auch der innere Frieden in unserer Gesellschaft verloren.“

Am Reformationstag erinnern Protestantinnen und Protestanten in aller Welt an den Beginn der Reformation durch die Veröffentlichung der 95 Thesen von Martin Luther am 31. Oktober 1517. Mit seiner Kritik an der Kirche seiner Zeit stieß Luther Veränderungen an, die später zum Entstehen der evangelischen Kirche führten.