Polioerreger im Abwasser in vier deutschen Städten gefunden

Polio ist weltweit nahezu ausgerottet, Deutschland gilt seit Jahrzehnten als poliofrei. Doch immer wieder tauchen Erreger als “Abfall” des Lebendimpfstoffs im Abwasser auf. Nun auch in Deutschland.

In vier deutschen Großstädten sind Polioviren im Abwasser entdeckt worden. Laut Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Donnerstag sind dies München, Hamburg, Köln und Bonn. Es handelt sich dabei um ein vom Lebendimpfstoff abgeleitetes, mutiertes und potenziell wieder krankmachendes Poliovirus Typ 2, das offenbar schon länger zirkuliert. Weitere Untersuchungen stünden noch aus. Zudem würden die aktuellen Impfquoten ermittelt, auch um zu bewerten, ob gezielte Impfmaßnahmen in einzelnen Regionen Deutschlands nötig seien. Erkrankt sei bislang niemand in Deutschland.

Das Wildtyp-Poliovirus 2 welches auch die sogenannte Kinderlähmung hervorruft, gilt laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) als ausgerottet. Bei dem bis 1998 in Deutschland und in anderen Ländern weiterhin genutzten Lebendimpfstoff kann es jedoch vorkommen, dass die Impfviren mutieren und auch mit dem Stuhl Geimpfter in das Abwasser gelangen. Sind diese Viren über mehr als zwei Monate im Abwasser nachweisbar, wird laut WHO von einem zirkulierenden Erreger gesprochen. Ähnliche Befunde gab es zuletzt in Spanien und Portugal.

Für nicht durch Impfung geschützte Personen kann dies ein Risiko darstellen. Die Durchimpfungsrate war zuletzt ausreichend, auch wenn bei Kindern eine zeitliche Lücke entsteht. So sind viele Kinder oft erst mit Schulbeginn vollständig immunisiert. Im Alter von sechs Jahren besaßen mit Stand 2022 rund 92 Prozent der Kinder einen vollständigen Impfschutz, bei den Zweijährigen waren es je nach Bundesland nur etwa 72 bis 85 Prozent. Laut Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) sollte die Grundimmunisierung vor dem ersten Lebensjahr abgeschlossen sein. Ziel ist zudem eine Durchimpfungsrate der gesamten Bevölkerung von 95 Prozent.

Der Befund kommt in eine Zeit der geplanten Kürzung der Mittel für die Globale Polio-Eradikations-Initiative im Haushalt des Entwicklungsministeriums von 37 auf 20 Millionen Euro. Aus Expertensicht ein fatales Signal. Für Impfkampagnen und das Überwachen der Lage brauche es genügend Mittel. Andernfalls sei das Risiko eines Wiederauftretens von Kinderlähmungsfällen auch in Deutschland real, hatte die nationale Kommission für die Ausrottung des Poliovirus jüngst kritisiert.

Die Poliomyelitis, kurz Polio oder oft auch Kinderlähmung genannt, ist die Folge einer Infektion mit einem von drei Picornaviren. Wenn die Krankheit ausbricht, kann sie sich auf das zentrale Nervensystem ausweiten und zum Tod oder dauerhaften Lähmungen führen. Übertragen wird das Virus fäkal-oral, also etwa über mit Fäkalien verunreinigtes Wasser und Lebensmittel. Da es keine antivirale Therapie gibt, können bei einer Infektion nur die Symptome gelindert werden.