Plattform X zieht sich wegen Zensur-Streit aus Brasilien zurück

Seit Monaten streitet der X-Eigentümer mit Brasiliens Oberstem Gericht. Dessen Anweisungen zur Sperrung von Nutzerkonten und Offenlegung von Nutzerdaten hält Musk für illegal.

Der sich seit Jahresbeginn hinziehende Konflikt zwischen Milliardär und X-Eigentümer Elon Musk und Brasiliens oberstem Richter Alexandre de Moraes hat ein neues Kapitel gewonnen. Am Wochenende kündigte der Online-Dienst an, seine Mitarbeiter aus Brasilien abzuziehen. Ihnen drohe sonst schlimmstenfalls ein Haftbefehl. Es geht um fragwürdige Inhalte auf der Plattform, die Moraes gelöscht sehen will. Zudem sollen Nutzerdaten offengelegt werden. Doch X will dem nicht nachkommen.

Richter Moraes gilt als Vorkämpfer gegen “Fake News” und Hasskriminalität in Brasilien. Während der Regierungszeit des Rechtspopulisten Jair Messias Bolsonaro (2019-2022) war er gegen den Präsidenten sowie eine Armee aus Internet-Trollen vorgegangen und überschüttete sie regelrecht mit Strafverfahren.

Gegen Bolsonaro ermittelt Moraes zudem, weil der Ex-Staatschef behauptete, das Wahlsystem werde zu seinen Ungunsten manipuliert. Eine Aussage, die Bolsonaro-Anhänger immer wieder auch auf X-Nutzerkonten verbreiten. Dort soll außerdem zu antidemokratischen Protesten aufgerufen worden sein, so der Vorwurf. Moraes macht Bolsonaro und dessen Anhänger etwa für eine Attacke Hunderter Demonstranten auf das Regierungsviertel in Brasilia Anfang Januar 2023 verantwortlich.

Doch als er Anfang 2024 anordnete, X-Konten von Bolsonaro-Anhängern zu sperren, weigerte sich Musk und warf dem Richter vor, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu missachten. Nicht nur das: Der Milliardär drohte Moraes gar, bereits gesperrte Konten zu reaktivieren. Der öffentlich ausgetragene Streit der beiden schaukelte sich zu einer Staatsaffäre hoch. Große Teile von Politik und Presse fühlten sich durch Musk in ihrem Nationalstolz gekränkt. Wie komme ein ausländischer Unternehmer dazu, sich über die brasilianische Justiz hinwegzusetzen, so der Tenor. Zur weiteren Eskalation trug bei, dass Moraes ein Verfahren gegen Musk persönlich eröffnete und dieser den Richter als Diktator beschimpfte, der abgesetzt werden sollte.

Am Samstag verkündete Musk schließlich, dass ein Rückzug aus Brasilien unausweichlich sei. Moraes wolle X zwingen, im Geheimen gegen brasilianische, argentinische, US-amerikanische und internationale Gesetze zu verstoßen: “Das ist eine Schande für die Justiz.” Allerdings wird X weiter in dem südamerikanischen Land abrufbar sein. Lediglich das dort tätige Personal werde zum Schutz vor dem aktivistischen Richter abberufen.

Und Musk weiter: “Die Entscheidung, das X-Büro in Brasilien zu schließen, war eine schwierige Entscheidung, aber wenn wir Alexandres (illegalen) Forderungen nach geheimer Zensur und der Freigabe privater Informationen zugestimmt hätten, gäbe es keine Möglichkeit, unser Handeln zu erklären, ohne uns zu blamieren.” Dazu veröffentlichte X Dokumente, in denen Moraes der Plattform Ultimaten stellt.

Das Oberste Gericht äußerte sich nicht zur Authentizität der von X veröffentlichten Dokumente. In einem Schreiben fordert Moraes die X-Mitarbeiter auf, innerhalb von fünf Tagen offenzulegen, wer für zwölf aufgelistete X-Accounts verantwortlich sei.

In einem weiteren Schreiben wird ein Repräsentant von X aufgefordert, innerhalb von 24 Stunden die Identität der Person hinter einem bestimmten X-Kanal offenzulegen. Sonst drohe ein tägliches Bußgeld von umgerechnet rund 16.000 Euro. Ein weiteres Schreiben droht mit einem täglichen Bußgeld von 32.000 Euro. Musk hatte bereits zuvor erklärt, dass X-Angestellte in Brasilien nicht für das Löschen oder Sperren von Inhalten zuständig seien.

Der prominente Unternehmer hat sich zuletzt immer mehr zum globalen Sprachrohr rechter Politiker entwickelt. Mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der 2021 noch vom X-Vorgänger Twitter verbannt worden war, hat sich Musk mittlerweile arrangiert. Gerade erst interviewte er den Präsidentschaftskandidaten auf der eigenen Plattform. Zudem greift Musk immer wieder den noch amtierenden Präsidenten Joe Biden sowie die neue demokratische Kandidatin Kamala Harris an.

Auch mit Argentiniens libertärem Präsidenten Javier Milei zeigt sich Musk gerne. Genau wie dieser wettert er auf seinem X-Account gegen vieles, was er als “woke” empfindet, darunter zum Beispiel gendermedizinische Eingriffe. In die zurzeit aufgeheizte Stimmung in Großbritannien mischte sich Musk ebenfalls ein. Angesichts der dortigen fremdenfeindlichen Krawalle schrieb er, dass ein Bürgerkrieg “unvermeidlich” sei.

Für Bolsonaro kommt Musks Disput mit Erzfeind Alexandre de Moraes gerade recht. Denn Bolsonaro argumentiert ebenso, dass der Richter gezielt gegen persönliche Freiheitsrechte der Brasilianer verstoße. Dabei stellt sich der Ex-Präsident selbst als Opfer einer von Moraes angeführten politisch motivierten Justiz dar. Mit Musk habe man nun einen mächtigen Verbündeten in diesem Streit, erklärte Bolsonaro im April.