Eigentlich wollte sie Lehrerin werden. Doch das war für sie als älteste Tochter damals nicht möglich. Heidi – eigentlich Adelheid Emma – Denzel wurde am 4. Februar 1883 als eines von acht Kindern des Pfarrers Emil und dessen Frau Johanna Agnes Denzel in Triensbach bei Crailsheim geboren. „Die Älteste (…) in einem dörflichen Pfarrhaus und selbst ein Mädchen zu sein, war in jener Zeit kein reines Glück, gerade wenn man begabt und lernbegierig war“, schreibt Pfarrer Rudolf Dauer (1892-1976) über Heidi Denzel. „Die Älteste war ganz selbstverständlich die Stütze der Hausfrau. Und dazu reichte auch die Volksschulbildung. Immerhin gab ihr Vater ihr Unterricht in Französisch und Latein und sie durfte zweieinhalb Jahre das Evangelische Töchterinstitut in Stuttgart besuchen.“
Heidi Denzel war deshalb wahrscheinlich froh, als sie mit 18 Jahren nach England gehen konnte, wo sie zwei Jahre lang in einer Pfarrfamilie als Erzieherin arbeitete. Als sie aus England wieder zurückkam, hatte die junge Frau vor, Missionarin zu werden, doch: „Die ehrenamtliche Arbeit mit jungen Mädchen in der Gemeinde ihres Vaters festigte ihren Entschluss, die Frauenschule der Inneren Mission in Berlin zu besuchen. Sie hatte erkannt, dass Frauen mit der Professionalisierung der sozialen Arbeit unabhängig sein und gleichzeitig einen wichtigen gesellschaftlichen und missionarischen Dienst erweisen können“, schreibt Dorothea Besch, Historikerin und Archivarin vom Landeskirchliches Archiv Stuttgart in einem Artikel auf der Homepage der württembergischen Landeskirche.
Zurück in Stuttgart wurde Heidi Denzel 1910 beim „Verein der Freundinnen junger Mädchen“ angestellt, in dem sie sich um den Auf- und Ausbau der Bahnhofsmission Stuttgart kümmerte. Um junge, alleinreisende Frauen vom Land vor der Prostitution und Arbeitsausbeutung zu bewahren, vermittelte sie ihnen Arbeits- und Übernachtungsmöglichkeiten.
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde der „Evangelische Volksbund“ gegründet. Dieser suchte eine Geschäftsführerin für seine Frauenabteilung. Das sollte ab 1920 die Lebensaufgabe von Heidi Denzel werden. Ihre besondere Aufmerksamkeit galt den erschöpften Müttern: „Durch Arbeits- und Sorgenlast in den Kriegsjahren, Hunger und Inflation nach dem Krieg waren die Kräfte vieler Frauen erschöpft. (…) Wo sollte Mutter sich erholen, wenn das Geld von heute auf morgen wegfließt in der Inflation?“, schreibt Denzel in ihren Erinnerungen an die Gründungszeit des Evangelischen Volksbundes (LKAS, K 38, Nr. 1).
Es entstanden erste Formen der Mütter-Erholung. Erholungsbedürftige Frauen aus der Stadt wurden in christlichen Gastfamilien untergebracht und konnten an einer Freizeit teilnehmen. „Später kam es dazu, dass Stadtfrauen im Sommer aufs Land eingeladen wurden, während die Sommergäste aus der Stadt im Winter zu kürzeren Freizeiten ihre ländlichen Gastgeber einluden“, so Denzel. Um überlasteten Familien zu helfen, wurden 1926 die ersten „Hausschwestern“ ausgebildet. Diese konnten „vielen, damals oft recht armen und kinderreichen Familien einen sehr befriedigenden sozialen Dienst tun“, schreibt Heidi Denzel.
„Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Erholungsfreizeiten für völlig entkräftete Frauen wieder aufgegriffen und führten 1951 zur Gründung eines eigenen Müttergenesungsheims in Bad Ditzenbach“, so Historikerin Besch. „Die professionelle Müttergenesungsarbeit in Württemberg nahm somit ihren Anfang und ist bis heute eine wichtige Unterstützung für überlastete Mütter.“
Auch im Ruhestand war Heidi Denzel noch aktiv und trieb den Bau eines neuen Mutterhauses für die „Evangelische Haus- und Landschwesternschaft“ mit angegliedertem Alten- und Pflegeheim voran, das 1958 in Korntal bei Stuttgart eingeweiht werden konnte. Mit ihrer Freundin Meta Distel, mit der Heidi Denzel in einer Lebensgemeinschaft lebte, packte sie im Jahr 1962 Hilfssendungen für die DDR, wie ein Video zeigt.
Heidi Denzel starb am 31. Januar 1975 im Korntaler Pflegeheim auf dem Roßbühl. Direkt neben dem Pflegeheim befindet sich die Evangelische Berufsfachschule für Haus- und Familienpflege der Evangelischen Diakonieschwesternschaft Herrenberg-Korntal, die Denzel 1926 gründete und deren 100-jähriges Bestehen nächstes Jahr gefeiert wird.
„Heidi Denzel hat aus dem Umstand der Not eine Familienpflegeschule gegründet“, sagt die Oberin der Diakonieschwesternschaft, Schwester Heidrun Kopp, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch in der heutigen Gesellschaft sei Familienpflege notwendig und es sei wichtig, dass Menschen dafür ausgebildet werden. „Die Hilfe in den Familien darf nie vernachlässigt werden.“ (0198/28.01.2025)