Pionierin der Hospizbewegung

Sie löste eine kleine Revolution in Europa aus und wurde von der Queen geadelt. Vor 100 Jahren wurde die Pionierin der Hospizbewegung, Cicely Saunders, geboren. In Deutschland setzte sich ihre Idee nur langsam durch

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Ihr Name ist in Deutschland nicht sonderlich bekannt. Und doch zählt Cicely Saunders zu den Menschen, die Europa im 20. Jahrhundert stark verändert haben. Denn die britische Ärztin, die am 22. Juni vor 100 Jahren geboren wurde, gilt als Mutter der Palliativmedizin und der modernen Hospizbewegung.
Erste Erfahrungen mit dem Tod machte die anglikanische Christin als Krankenschwester im Zweiten Weltkrieg.

Schmerzlinderung bei Krebspatienten

Die Studentin der Philosophie und der Wirtschaftswissenschaften erlebte in Lazaretten, wie das Personal sterbenden Soldaten nichts außer persönlicher Zuwendung geben konnte. Auch nach dem Krieg arbeitete sie nachts als Sterbebegleiterin in Krankenhäusern. Mit einem ihrer Patienten, dem polnisch-jüdischen Ghetto-Überlebenden David Tasma, entwickelte sie 1948 die Idee eines Heims, in dem Menschen fern des Krankenhauses sterben können.
Die Idee gewann erste Konturen: Die Oberin eines katholischen Hospitals vertraute Saunders an, dass sie Morphium zur Schmerzlinderung bei Krebspatienten verwende. Der Chefarzt des Krankenhauses ermutigte sie, Medizin zu studieren. Saunders stürzte sich in die Forschung und widerlegte den „Mythos“ von Morphium als einer „medizinisch unbrauchbaren Droge“. 1962 bewies sie, dass Patienten bei einer geeigneten Dosis oft ein ganz normales Leben führen können, ohne Suchtprobleme.

Selbstbestimmung und ganzheitliche Begleitung

Saunders prägte den Begriff „Total Pain“. Danach besteht der Schmerz aus einer körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen Dimension. Schwerstkranke Menschen erleiden demnach Schmerzen, die über rein körperliches Leiden hinausgehen. Um ihnen zu helfen, formulierte die Ärztin Prinzipien zur ganzheitlichen Begleitung, die unter dem Begriff „Palliative Care“ bekannt wurden. Ziel ist dabei die Lebensqualität und Selbstbestimmung des Patienten bis zum Schluss.
Mit dem St.-Christopher-Hospiz in London schuf Saunders schließlich 1967 einen Ort, wo Sterbende ihre letzten Tage in Frieden verbringen konnten. Dieses Hospiz leitete sie bis 1985. 1987 wurde die Palliativmedizin in Großbritannien Fachdisziplin, und Saunders wurde von der Queen geadelt. Die Pionierin der Hospizbewegung starb 2005 im Alter von 87 Jahren in dem von ihr eröffneten Hospiz.
In Deutschland setzte sich ihre Idee nur langsam durch. In den 80er Jahren entstanden erste Hospizdienste und Sitzwachen: Ehrenamtliche kümmerten sich um Ster-bende. 1983 wurde die erste deutsche Palliativstation an der Uniklinik Köln gegründet, 1986 das erste stationäre Hospiz in Aachen. 1992 wurde der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) aus der Taufe gehoben.

Krankenkassen bezuschussen Hospize

Eine breite Bürgerbewegung entstand – insbesondere im Raum der Kirchen. Inzwischen gibt es ein Netz von 1500 ambulanten Hospizdiensten, 235 stationären Hospizen sowie mehr als 300 Palliativstationen in Krankenhäusern. 295 Teams der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung aus Medizinern, Pflegekräften, Seelsorgern und Physiotherapeuten sorgen dafür, dass Sterbenskranke auch zu Hause versorgt werden können. 80 000 bis 100 000 Menschen engagieren sich in der Hospizbewegung.
Immer stärker wurde die Sterbebegleitung auch gesetzlich abgesichert. Seit 1997 bezuschussen die Krankenkassen stationäre Einrichtungen, seit 2002 auch ambulante Hospizdienste. Seit 2007 gibt es auch einen Rechtsanspruch auf eine spezialisierte ambulante Hospizversorgung.

Hospiz- und Palliativgesetz seit drei Jahren

Nicht zuletzt die Sorge vor einer Legalisierung von aktiver Sterbehilfe und der Beihilfe zum Suizid haben Politik, Mediziner und Hospizbewegung darin bestärkt, „eine Kultur der Mitmenschlichkeit und Fürsorge“ am Lebensende zu entwickeln. Das 2015 vom Bundestag verabschiedete Hospiz- und Palliativgesetz hat die Bedeutung der Sterbebegleitung noch einmal gestärkt.
Der Gießener Soziologe Reimer Gronemeyer fürchtet allerdings, dass Palliativmedizin und Hospize immer mehr zu einer standardisierten medizinischen Dienstleistung werden. Und damit ihre Seele verlieren. Auch der DHPV-Vorsitzende Winfried Hardinghaus setzt darauf, dass die Hospizbewegung ihre Dynamik weiter aus dem Eh-renamt schöpft. Sie dürfe sich ihr Engagement nicht von den Strukturen des Gesundheitssystems diktieren lassen.