Pflegerat: Halbe Million Arbeitskräfte fehlt – Thema Demenz

Die Zahl von Menschen mit Demenz wird wohl weiter stark steigen. Gleichzeitig fehlt es immer dramatischer an Pflegekräften. Müssen Pflegebedürftige stärker selbst an den Kosten beteiligt werden?

Mit Blick auf den enormen Anstieg an Pflegepatienten warnt der Deutsche Pflegerat vor einem dramatischen Mangel von Pflegekräften. Bis 2034 fehlten voraussichtlich 500.000 Mitarbeiter in der Pflege, sagte Verbandspräsidentin Christine Vogler der Zeitung “Bild” (Dienstag).

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) erwartet zugleich einen weiteren deutlichen Anstieg von Pflegefällen durch Demenz-Erkrankungen. Die CSU warnt laut “Bild” vor eineer Pleite der Pflegekasse; die Grünen wollen mehr Steuerzuschuss zur Pflegeversicherung. Der Sozialexperte Bernd Raffelhüschen spricht sich für eine einjährige Selbstbeteiligung der Betroffenen an den Kosten aus.

Durch die wachsende Lebenserwartung benötigten auch immer mehr Menschen Pflege, so der Deutsche Pflegerat. Auch sei die hohe Teilzeitquote in der Branche zu berücksichtigen – und wegen des demografischen Wandels gebe es immer weniger Menschen, die arbeiten oder eine Ausbildung in der Pflege beginnen, so Vogler: “Die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage wird immer größer.”

Schon heute fehlten in der Pflege rund 115.000 professionelle Vollzeitkräfte. Es brauche von der Politik mehr Anreize für ehrenamtliche Pflegetätigkeiten zu schaffen. Außerdem forderte sie mehr Steuerzuschüsse an die gesetzliche Pflegeversicherung sowie eine Neuordnung der sozialen Berufe.

Sollte kein Durchbruch in Therapie und Prävention erzielt werden, werde sich die Zahl von Demenzkranken weiter stark erhöhen, sagte die Vize-Bundesvorstandsvorsitzende der MDK, Carola Engler, der “Augsburger Allgemeinen” (Dienstag). Die Gutachter der Pflegekassen hätten 2023 rund 160.000 Erstanträge mehr bearbeiten müssen als 2022. Dieser Zuwachs finde über alle Altersgruppen statt.

Die Ursachen noch nicht klar, so Engler. Allerdings wirke sich auch die große Pflegereform von 2017 aus. Seit der Umstellung von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade würden psychische und kognitive Beeinträchtigungen wie zum Beispiel bei Demenz bei der Feststellung von Pflegebedürftigkeit deutlich stärker berücksichtigt. Das sei auch ein ausdrückliches Ziel der Reform gewesen, sagte die MDK-Vertreterin. Mit steigender Lebenserwartung steige auch die Zahl derer, die an der Alterskrankheit Demenz erkranken.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte am Montag vor einem explosionsartigen Anstieg der Pflegefälle gewarnt und eine große Pflegereform in der nächsten Legislaturperiode angemahnt. Der Sozialverband Deutschland warnte aber davor, die Pflegebeiträge weiter zu erhöhen. Die Menschen seien in Zeiten von Kostenexplosionen eh am Limit, sagte Verbands-Chefin Michaela Engelmeier.

Der Freiburger Sozialexperte Bernd Raffelhüschen sprach sich für eine einjährige Selbstbeteiligung der Betroffenen an den Kosten aus. Um die Folgen der unaufhaltsamen Kostenlawine abzumildern, müsse eine Pflege-Karenzzeit schnellstmöglich eingeführt werden, sagte er der “Bild” (Dienstag). Pflegebedürftige müssten dann das erste Jahr die Pflegekosten selbst zahlen; erst danach sollten Leistungen aus der Pflegeversicherung fließen.

Raffelhüschen schlägt eine schrittweise Einführung der Karenzzeiten vor; beginnend mit den ersten drei Monaten, dann einem halben Jahr, bis schließlich das volle erste Jahr in der Pflege selbst gezahlt würde.

Der Ökonom sagte zudem einen stark steigenden Beitragssatz voraus. “Die junge Generation wird für die Versäumnisse der Sozialpolitik aufkommen müssen”, sagte Raffelhüschen. Die Pflegeversicherung könnte demnach bis 2040 auf rund sieben Prozent für Kinderlose steigen. Es sei ungerecht, “dass die junge Generation für die Pflege derer aufkommen muss, die zeitlebens viel niedrigere Pflegebeiträge gezahlt haben”, so der Experte.