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Pflege in der Krise – Auf der Suche nach dem großen Wurf

Die Entwicklung überrascht nicht. Dass die Zahl der Pflegebedürftigen steigt, weiß die Politik seit Jahren. Auch Personalmangel und steigende Kosten in Heimen waren absehbar. Wo ist der Ausweg?

Es soll eine Weichenstellung sein. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe “Zukunftspakt Pflege” will am Donnerstag Eckpunkte für eine große Reform der Pflege vorlegen. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt Themen, die dabei eine Rolle spielen werden.

Die Babyboomer werden die Situation der Pflege massiv verändern. Nicht nur, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren stark zunehmen wird. Auch bei den professionell Pflegenden scheiden bald viele aus dem Arbeitsleben aus. Das bedroht die Versorgung älterer Menschen stark.

Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt: Erhielten 2003 etwas mehr als zwei Millionen Menschen Leistungen der Pflegeversicherung, sind es mittlerweile fast sechs Millionen. Pro Jahr kommen durchschnittlich 300.000 Personen hinzu.

Hintergrund sind die Alterung der Gesellschaft, aber auch Reformen der Pflegeversicherung, die zu mehr Leistungsempfängern führten. Aktuelle Vorausberechnungen gehen von einem weiteren Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen auf 6,8 bis 7,6 Millionen 2055 aus. Außerdem nimmt auch die durchschnittliche Pflegedauer zu.

Das Jahresergebnis der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) belief sich 2024 einschließlich Verwaltungsaufwendungen auf 68,2 Milliarden Euro. Im Vergleich zum Vorjahr stieg es damit um 15,1 Prozent. Leistungsausgaben von 63,3 Milliarden Euro standen Einnahmen von 66,6 Milliarden gegenüber.

Nach Berechnungen von Experten steuert die Pflegeversicherung in diesem Jahr auf ein Defizit von 1,8 Milliarden Euro zu, 2026 wären es demnach 3,5 Milliarden Euro. Experten befürchten bis 2033 ein Loch von bis zu 15 Milliarden Euro. Um die Finanzsituation kurzfristig zu stabilisieren, hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) für die kommenden beiden Jahre ein Darlehen von insgesamt zwei Milliarden Euro zugesagt, die allerdings ab 2029 zurückzuzahlen sind.

Die Pflegekassen sehen zunächst den Bund in der Pflicht, mit Steuermitteln zu stützen. Die Pflegeversicherung habe Corona-Hilfen von rund sechs Milliarden Euro ausgelegt. Am Mittwoch hat der Sozialverband VdK Klagen angekündigt, weil der Bund diese aus seiner Sicht versicherungsfremden Leistungen nicht zurückzahle. Denkbar sind auch Leistungskürzungen; diskutiert wurden sie zuletzt beim Pflegegrad eins.

Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung war zum 1. Januar 2025 um 0,2 Prozentpunkte auf 3,6 Prozent angehoben worden. Seit Jahren gibt es Debatten über strukturelle Reformen auf der Einnahmenseite: SPD und Grüne sind für eine Bürgerversicherung, in die auch Beamte und Selbstständige einzahlen und bei der auch Einkommen aus Aktien oder Vermögen berücksichtigt werden. Darüber hinaus wird darüber diskutiert, dass Gutverdiener höhere Beiträge leisten, etwa durch eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze. Kanzler Friedrich Merz (CDU) hat sich für mehr Eigenvorsorge ausgesprochen. Er schlägt eine private Pflegezusatzversicherung vor. Möglich wäre auch, den bestehenden Pflegevorsorgefonds zu einer dauerhaften Kapitalstütze auszubauen. Das Geld könnte renditeorientiert angelegt und die Erträge in die Versicherung eingespeist werden.

Die monatliche Eigenbeteiligung für Pflegeheimbewohner beträgt im bundesweiten Durchschnitt im ersten Jahr bereits etwa 3.108 Euro. Für immer mehr Bewohner droht diese steigende Eigenbeteiligung zur Armutsfalle zu werden. Sie rutschen in die Sozialhilfe – und das, obwohl die Pflegekassen sich mit einem Leistungszuschlag an den Kosten beteiligen. Die Pflegekassen sehen hier vor allem die Länder in der gesetzlichen Pflicht, die Investitionskosten zu übernehmen, die bislang auf die Eigenanteile der Heimbewohner durchschlagen. Auch gibt es Forderungen, dass Besserverdienende einen höheren Anteil an den Heimkosten zahlen.

Auch die mehr als 15.000 ambulanten Pflegedienste klagen über Personalnot, gesundheitliche Probleme der Pflegekräfte und eine schlechte wirtschaftliche Situation. Von den rund sechs Millionen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden 86 Prozent zu Hause versorgt, davon etwa eine Million mit Unterstützung von Pflegediensten. Auch viele Angehörige fühlen sich überfordert; sie geben teilweise ihren Beruf auf. Entlastungsmöglichkeiten wie Tages- und Kurzzeitpflege sind zwar gesetzlich zugesichert; es gibt aber zu wenige Angebote.

Die Situation der Pflege könnte verbessert werden, wenn ältere und pflegebedürftige Menschen länger in ihren eigenen vier Wänden leben können – durch Unterstützung der Angehörigen oder durch soziale, hauswirtschaftliche und medizinische Angebote sowie Beratung. Vorbeugung und Rehabilitationsangebote in Städten und Gemeinden, aber auch in Heimen und bei ambulanter Pflege könnten dafür sorgen, dass Pflegebedürftigkeit verhindert oder aufgeschoben wird. Experten schlagen außerdem neue Wohnformen wie etwa ambulant betreute Wohngemeinschaften oder Mehrgenerationenhäuser vor. Auch pflegende Angehörige könnten durch Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen gestärkt und damit die häusliche Pflegesituation stabilisiert werden.

Der Deutsche Pflegerat geht davon aus, dass bis 2034 rund 500.000 Pflegekräfte (in Kranken- und Altenpflege) fehlen werden. Bereits jetzt seien 115.000 Stellen nicht besetzt. Es geht also darum, mehr Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen und zu halten – durch attraktivere Arbeitsbedingungen, Werbung im Ausland und neue Berufsfelder. Flexiblere Arbeitszeitmodelle wie die Vier-Tage-Woche könnten eine weitere Maßnahme sein. Außerdem könnten Entbürokratisierung und Digitalisierung dafür sorgen, dass Pflegekräfte mehr von ihrer Arbeitszeit für die betroffenen Menschen verwenden können.

Bei der Bezahlung haben die Pflegekräfte enorm aufgeholt – was allerdings wiederum zu steigenden Kosten für die Pflegebedürftigen führt. So ist zum 1. Juli der Mindestlohn für Pflegefachkräfte auf 20,50 Euro pro Stunde gestiegen, qualifizierte Pflegehilfskräfte mit mindestens einjähriger Ausbildung erhalten mindestens 17,35 Euro pro Stunde und Pflegehilfskräfte mindestens 16,10 Euro. Die Mindestlöhne in der Pflege sind damit deutlich höher als der allgemeine Mindestlohn. Bis zum 1. Juli 2027 sind zwei weitere Steigerungs-Stufen beschlossen. Auch bei den Durchschnittslöhnen haben Pflegekräfte enorm aufgeholt.