Pastorin porträtiert Senioren, die Mut beweisen
Wie wird es sein, wenn ich alt bin? Diese Frage treibt die Pastorin und Journalistin Inke Raabe aus Schleswig-Holstein um. Jetzt hat sie alte Menschen porträtiert – und auch etwas für sich gelernt.
Husum. Mit einer Brille zum Lesen fängt es meistens an – das Altwerden. Was danach noch alles kommen kann, chronische Krankheiten, Verlust der Mobilität, vielleicht sogar des Gedächtnisses, daran mögen die meisten jungen Menschen nicht denken. Schon gar nicht in der heutigen Leistungsgesellschaft, die von jedem erwartet, zuverlässig zu funktionieren, über Job und Familie die Kontrolle zu behalten und täglich seinen Mann zu stehen. Altwerden ist ein Thema, das vielen Menschen Angst macht. Sie schieben es weg. Weit weg.
Inke Raabe hat das nicht getan. Im Gegenteil: Die 51-jährige Theologin aus Husum hat in Zusammenarbeit mit der Stiftung Diakoniewerk Kropp eine Fotoreportage unter dem Titel „Vom Mut alter Menschen“ entwickelt, die jetzt im Internet abrufbar ist. Entstanden sind vier anrührende Porträts über Senioren in Text und Bild, die, von der Stiftung begleitet, trotz aller Beeinträchtigungen ihr Leben meistern.
Lisa B. – eine Kämpfernatur
Inke Raabe hat sie besucht, mit ihnen Kaffee getrunken, sich ihre Geschichte erzählen lassen und sie fotografiert: drei Frauen und ein Mann zwischen 78 und 96 Jahren. Sie alle gehören der Nachkriegsgeneration an, die nicht verwöhnt wurde vom Leben. Alle vier sind Kämpfernaturen. Die 80-jährige Lisa B. zum Beispiel: Jahrzehntelang arbeitete sie hart als Schneiderin. Mit 60 Jahren wurde sie krank, der Rücken spielte nicht mehr mit. Inzwischen sitzt sie im Rollstuhl, vor sechs Jahren starb ihr Mann, das Haus ist verkauft. Als sie über den Abschied von ihrem alten Leben erzählt, weint sie. Wenig später lacht sie schon wieder und erzählt Inke Raabe, wie dankbar sie für die Rundum-Pflege ist, die sie nun im Heim erfährt. Und dafür, dass sie es geschafft hat, einen Neuanfang zu wagen. Sie lässt sich im Alltag helfen, geht zu Sing- und Gymnastikkreisen und ist bei jedem Fest im Haus dabei.
Das alles schreibt Inke Raabe nach ihren Besuchen im Heim sorgfältig auf. Ihre Porträts sind kurz, aber lang genug, um sich die lebensbejahende Lisa B. vorstellen zu können, die trotz vieler Schicksalsschläge fröhlich geblieben ist. Die sich nicht dafür schämt, dass sie ihre Eigenständigkeit ein Stück weit aufgegeben hat, nun im Rollstuhl sitzt und auf Hilfe angewiesen ist. Anschaulich, aber sachlich, einfühlsam, aber nicht kitschig gibt Inke Raabe einen Einblick in die Welt der Alten – und kommt zu dem Ergebnis, dass die Senioren Respekt verdienen. Und zwar vor allem vor ihrer Leistung im Alter. „Es ist schwer, das Haus aufzugeben, für das man ein Leben lang gearbeitet hat. Und es ist unendlich schwer, auf Hilfe angewiesen zu sein und täglich neu um sie zu bitten“, sagt Inke Raabe.
„Bilder sind noch intimer als Texte“
Das Projekt trieb sie schon lange um. Nach ihrem Vikariat arbeitete Raabe 13 Jahre lang als Pastorin und kam mit den Tücken des Altwerdens immer wieder in Berührung. „Unter anderem lernte ich damals ein älteres Ehepaar kennen, beide waren an die 90 Jahre alt“, erzählt die Theologin. „Er hatte sich damals die linke Schulter gebrochen, sie sich die rechte Hand. Den Abwasch zu Hause machten sie über Kreuz – und lachten sich dabei kaputt.“ Schon damals faszinierte Inke Raabe, dass solche Menschen nicht in Selbstmitleid versinken, sondern ihr Schicksal annehmen und Lösungen für Probleme finden. Um diese Erfahrung auch den jüngeren Generationen mit auf den Weg zu geben, machte sie diese Reportage. In der Diakonie Kropp fand die Pastorin einen Partner, der sie begleitete und ihr den Kontakt zu den älteren Menschen vermittelte.
Das Fotografieren und Schreiben lag Inke Raabe schon immer. Im Alter von 43 Jahren ergänzte sie ihr Theologie-Studium mit einer Redakteursausbildung beim Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (sh:z). Danach wurde sie Öffentlichkeitsreferentin im Kirchenkreis Dithmarschen und ist es bis heute geblieben. Was sie durch Besuche im Altenheim erfuhr: Bilder sind noch intimer als Texte. Inke Raabe fotografierte Schwarz-Weiß-Bilder, die an den Zimmerwänden der Senioren hängen und Momente aus glücklichen Zeiten zeigen. Auch das ehemalige Zuhause von Lisa B. in ihrer Heimatstadt hält sie im Bild fest.
Herausforderung Altwerden
Auf die Frage, warum das Thema Älterwerden sie nicht losgelassen hat, zögert Inke Raabe einen Moment. Dann gibt sie ehrlich zu: „Ich habe selbst ein bisschen Angst vor dem Älterwerden, vor dem Verlust der Selbstständigkeit. Diese Menschen machen mir aber Mut.“ Sie wisse, dass das Altsein nicht schön, sondern eine große Herausforderung sein werde. „Aber diese Menschen haben mich davon überzeugt, dass ich es schaffen werde“, sagt sie.