Pastorin: Abschiebedruck führt zu mehr Anfragen nach Kirchenasyl

Die Verschärfung der Asylpolitik in Deutschland und Europa führt nach Angaben der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG) zu deutlich mehr Anfragen nach Kirchenasyl. „Der erhöhte Abschiebedruck macht den Menschen Angst“, sagte die Vorstandsvorsitzende Dietlind Jochims in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Pastorin und Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche kritisierte die zunehmende Zahl der Räumungen von Kirchenasylen durch Behörden. Am Freitag und Samstag trifft sich die BAG zu ihrer Jahrestagung in Hannover.

epd: Frau Jochims, suchen mehr Menschen Zuflucht im Kirchenasyl, seitdem Politik und Ministerien angekündigt haben, konsequenter und schneller abschieben zu wollen?

Dietlind Jochims: Wir haben eine deutlich höhere Zahl von Anfragen nach Kirchenasyl. Der erhöhte Abschiebedruck und das Bestreben der Politik, mehr Menschen zurückzuführen, macht den Menschen Angst. Kirchengemeinden gewähren seit 2015/16 fast ausschließlich solchen Menschen Asyl, die von sogenannten Dublin-Abschiebungen betroffen sind. Für deren Asylverfahren ist eigentlich ein anderes europäisches Land zuständig, in dem sie erstmals registriert wurden. Längst nicht alle europäischen Staaten jedoch garantieren Asylbewerbern ein menschenwürdiges Verfahren. Ins Kirchenasyl aufgenommen werden ausschließlich Menschen, bei denen wir nach genauer Prüfung einen besonderen Härtefall erkennen.

epd: Es gab zuletzt vermehrt Fälle, in denen das Kirchenasyl von Behörden gebrochen und Menschen abgeschoben wurden, zuletzt in Hamburg und Niedersachsen. Wie beurteilen sie das?

Jochims: Seit Sommer 2023 gibt es in der Tat einen deutlichen Anstieg von Kirchenasylen, die von den Behörden beendet wurden. Wir wissen von mindestens acht Fällen. Bis dahin hatten die Landesbehörden, die für Abschiebungen zuständig sind, ein klärendes Gespräch mit der Kirchengemeinde gesucht, wenn die Akzeptanz des Kirchenasyls infrage stand. In der Regel wurden dann Lösungen gefunden. Wenn aber überall nur noch nach Abschiebung gerufen wird, dann bleiben solche Gespräche aus. Die Behörden in den Ländern berufen sich dann darauf, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über die Abschiebung entscheidet und sie nur ausführendes Organ sind.

Zudem ist die Prüfpraxis zunehmend restriktiver geworden. Die Anerkennungsquoten des BAMF sind von 80 Prozent in den Jahren 2015/16 auf unter ein Prozent gefallen. Und das liegt unserer Einschätzung nach nicht daran, dass sich die Härtefälle verändert hätten, sondern die Sicht darauf.

epd: Schreckt die neue Entwicklung Kirchengemeinden ab, Menschen Kirchenasyl zu gewähren?

Jochims: Wenn Kirchenasyle von den Behörden angegangen werden, verunsichert das die Gemeinden natürlich enorm. Wir von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft und die regionalen Netzwerke müssen künftig noch besser auf die schwierige Situation für Geflüchtete in Europa aufmerksam machen. Sie sind in etlichen Ländern schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt und haben in Ländern wie Kroatien, Bulgarien, Ungarn oder zum Teil auch in Polen kaum Perspektiven. In ganz Europa ist fast nur noch von illegaler Migration die Rede. Es wird nicht mehr auf die Fluchtgründe geschaut.

Auch über Möglichkeiten und Bedingungen für ein Kirchenasyl werden wir die Kirchengemeinden besser aufklären. Zudem benötigen sie möglicherweise mehr Begleitung im Kirchenasyl, damit sie wieder beherzter werden.

epd: Welche Möglichkeiten haben Kirchengemeinden, sich einer Räumung durch die Polizei zu widersetzen?

Jochims: Wenn die Beamten einen offiziellen Durchsuchungsbeschluss haben, dann dürfen sie die Räume betreten und die Menschen mitnehmen. Die Kirche ist kein rechtsfreier Ort. Aber die Gemeinden könnten sich etwa mit einer großen Zahl von Unterstützern vor dem Gebäude versammeln und ihr Missfallen äußern. Sie könnten die Medien informieren. Die Behörden sollen merken, dass eine Räumung nicht ohne Widerstand hingenommen wird.

epd: Gehen Kirchenasyle abgesehen von Räumungen in der Regel gut aus?

Jochims: Die Dublin-Kirchenasyle können nach spätestens sechs Monaten beendet werden. Wenn die betreffende Person bis dahin nicht in das europäische Ersteinreiseland abgeschoben wurde, geht die Zuständigkeit für das Asylverfahren per Gesetz auf Deutschland über. In den weit überwiegenden Fällen ist bei den Prüfungen in Deutschland im Nachhinein festgestellt worden, dass es einen Schutzbedarf gibt. Die Herkunftsländer der meisten Menschen im Kirchenasyl sind nach wie vor Afghanistan, Syrien, der Iran, Irak und Somalia. Dennoch ist unser Anliegen nicht, Fristen auszusitzen, sondern dass Menschen unter menschenwürdigen und fairen Bedingungen ihr Asylverfahren durchführen können.

epd: Wie sehen Sie die Zukunft des Kirchenasyls vor dem Hintergrund der neuen EU-Asylgesetzgebung, nach der Asylverfahren möglichst an den Außengrenzen entschieden werden sollen?

Jochims: Es wird Schutzsuchenden insgesamt schwerer gemacht, überhaupt nach Europa zu kommen. Wenn sie es dennoch geschafft haben, wird es wesentlich schwieriger, Zuständigkeiten zu verändern. Wenn Schutzsuchende etwa in Bulgarien angekommen sind, dann wird Bulgarien zuständig bleiben. Die Menschen werden dennoch nicht in einem Land ausharren, in dem sie nicht menschenwürdig überleben können. Vermutlich werden künftig mehr Geflüchtete heimatlos durch Europa irren, mit unabsehbaren Folgen für den gesellschaftlichen Frieden in Europa. Was das für das Kirchenasyl bedeutet, müssen wir abwarten.

Vor allem in Norddeutschland haben wir seit einigen Monate sehr viele Anfragen von Schutzsuchenden aus Schweden, die dort gut integriert waren und nach Jahren ihren negativen Asylbescheid erhalten haben. Abgelehnte Asylsuchende in Schweden bekommen keinerlei Versorgung. Viele warten in gefängnisähnlichen Lagern teilweise jahrelang auf ihre Abschiebung. Wir haben auch Anfragen aus anderen skandinavischen Ländern, aus den Niederlanden und Belgien. Wer weiß, wie lange die Situation in Deutschland noch einigermaßen akzeptabel ist. Das Sicherheitspaket der Bundesregierung sieht ebenfalls einen Leistungsausschluss für Asylbewerber vor, deren Antrag in einem anderen europäischen Land bearbeitet werden müsste.