Pascal Delannoy tritt im gebeutelten Erzbistum Straßburg an

Dass Pascal Delannoy Problem-Milieu kann, hat er in der Pariser Vorstadt Saint-Denis unter Beweis gestellt. Nun übernimmt er als Erzbischof im von inneren Krisen gebeutelten Straßburg.

Pascal Delannoy, bislang Bischof von Saint-Denis im betongrauen Pariser Nordosten, sagt: „Man darf nicht nur auf die Tragödien schauen. Ich erlebe jeden Tag ein ganz anderes Saint-Denis, als es in den Medien dargestellt wird. Es gibt hier enorme Brüderlichkeit und Solidarität unter den Menschen.“ Solidarität – zusammenstehen: Das wird auch im oft als beschaulich geltenden Straßburg notwendig sein, wo der 67-Jährige am Sonntag (21. April) als 107. Bischof eingeführt wird.

Denn die Metropole des Elsass, über Jahrhunderte Streitobjekt zwischen Frankreich und Deutschland, ist hinter den Kulissen ein religiöser Brennpunkt. Nicht nur, dass die 290.000-Einwohner-Stadt neben Paris und Marseille als eine Hochburg des Islamismus in Frankreich gilt. Auch was den – hier vergleichsweise gut betuchten – Katholizismus angeht, ist zuletzt einiges in Schieflage geraten.

Rückblende: Vor einem Jahr, im Mai 2023, hatte Papst Franziskus den Rücktritt von Erzbischof Luc Ravel (66) angenommen; nach monatelangen Auseinandersetzungen um dessen Amtsführung und nach einer vatikanischen Überprüfung. Zuvor hatten auf dem Vorplatz des Straßburger Münsters Katholiken für seine Abberufung demonstriert.

Ravel leitete das Erzbistum seit Anfang 2017. Kritiker beschrieben den Ordensmann, der zuvor Frankreichs Militärbischof war, als aufbrausend, menschenfern und autoritär; seine Anhänger wiesen dies freilich zurück. Im Juni 2022 etwa wurde der Finanzchef der Diözese, Jacques Bourrier, fristlos und ohne Begründung entlassen. Der frühere Marineoffizier kündigte Rechtsmittel an.

Auseinandersetzungen gab es auch um die beiden Weihbischöfe, Christian Kratz (71) und Gilles Reithinger (51). Der Erzbischof hatte Kratz weitgehend entmachtet – nachdem berichtet worden war, der Vatikan habe ihn als Interimsverwalter ausersehen, um Ravel die Leitungsgewalt der Erzdiözese zu entziehen. Immerhin: Diese Kontroverse hatte sich dann – mit Ravels Abgang – erledigt. Anders als die Personalie Reithinger. Er trat vor zwei Monaten, Mitte Februar zurück, nachdem ihm Vertuschung sexueller Übergriffe vorgeworfen worden war. Die offizielle Lesart: Amtsverzicht „wegen gesundheitlicher Probleme“.

Das ist das recht gerupfte Personaltableau, das der neue Erzbischof Delannoy vorfindet. Und mit noch einer Besonderheit wird er in seiner neuen Aufgabe umgehen müssen – die auf den ersten Blick gar nicht sehr unangenehm klingt: Das Erzbistum Straßburg ist deutlich vermögender als die meisten anderen Diözesen in Frankreich.

Das liegt an einer staatskirchenrechtlichen Besonderheit im Elsass und in Lothringen: Die laizistische Dritte Republik kündigte 1905 das französische Konkordat von 1801 auf und vollzog für Frankreich eine strikte Trennung von Staat und Kirche. Allerdings gehörte Elsass-Lothringen zwischen den Kriegen von 1870/71 und 1914/18 zu Deutschland – so dass das Konkordat dort bis heute in Kraft ist. Das bedeutet auch, dass der französische Staat die Gehälter der Geistlichen sowie Bauzuschüsse zahlt.

Das, so ein Insider der Diözese, vermittele manchen Priestern auch „ein gewisses Gefühl der Unabhängigkeit gegenüber dem Bischof“. Einige achteten gut auf ihre Vorteile aus einer wirtschaftlich komfortablen Position. So habe es Unmut gegeben, als Delannoys Vorgänger schon wenige Wochen nach seiner Ankunft in Straßburg christliche Sattheit kritisierte und erklärte, niemand könne ein guter Pfarrer sein ohne leidenschaftliche Liebe zu Christus. Gleich zu Beginn schon abgekanzelt zu werden, habe viele empört.

Diesen Fehler wird „der Neue“ nicht machen: Konzilianz im Umgang, Besonnenheit, Menschenkenntnis und Analyse, Zuhören- und Vermittelnkönnen; diese Eigenschaften werden sowohl in der Bischofskonferenz, wo Delannoy über Jahre Vize-Vorsitzender war, als auch in seiner früheren Diözese geschätzt. So beschrieb der Bischof von Le Havre, Jean-Luc Brunin, den neuen Erzbischof in der Zeitung „La Croix“ als einen Friedensstifter; er könne die tiefe Vertrauenskrise in Straßburg überwinden.

Bevor er sich für das Priestertum entschied, war Delannoy, gebürtig in Comines an der Grenze zu Belgien, eigentlich Wirtschaftsprüfer. Sein erster Einsatz als Priester: das wirtschaftsschwache und vom Strukturwandel gebeutelte Roubaix. Nach Jahren als Weihbischof in Lille kam er dann 2009 als Bischof ins Departement Seine-Saint-Denis, das zu den ärmsten Frankreichs zählt. Nicht umsonst leitet Delannoy auch den Rat für Solidarität und Diakonie der Bischofskonferenz.

Auch ein großes Gespür für kulturelle Diversität bringt der neue Erzbischof mit. Etwa 130 Nationalitäten leben in Saint-Denis. Delannoy: „Das verhindert, dass eine bestimmte Gruppe die Oberhand gewinnt, wie es das in anderen Regionen gibt. Hier wäre es eine totale Illusion zu glauben, man könnte ein Ding nur unter Franzosen machen.“ Natürlich, Katholiken meinen oft: Verschiedenheit ist eine Chance. „Klar kannst du das sagen“, so der Bischof – „und trotzdem ist dann noch gar nichts geschafft! Das ist ein ganz schön dickes Brett.“

Delannoys Bischofsmotto lautet: „Mit Demut und Zuversicht“. Beides kann er in seiner neuen Aufgabe gut gebrauchen; und auch seine von den Amtsbrüdern oft nachgefragte Finanzkompetenz als Wirtschaftsprüfer. Denn in Straßburg gibt es tatsächlich Kirchengelder zu verwalten; ein starker Kontrast. Ebenso die Zahl der Geistlichkeit: Statt 140 Diözesan- und Ordenspriester in Saint-Denis werden es nun mehr als 600 sein.

Ihnen zuzuhören und sie zu verstehen, das dürfte dem Prüfer Delannoy gelingen. Autoritäres freilich liegt ihm fern. Bei aller Abwägung auch Entscheidungen zu treffen und sich durchzusetzen: Darin sehen manche Beobachter eine künftige Herausforderung.