Parlament und Betroffene gedenken der Opfer des Holocaust

Mit eindrücklichen Worten erinnerten eine Holocaust-Überlebende und der Sportjournalist Marcel Reif als Vertreter der zweiten Generation an die Toten. Beide warnten vor neuem Antisemitismus und Rechtsextremismus.

Mit einer Feierstunde im Parlament und Kranzniederlegungen haben Politiker und Vertreter betroffener Gruppen am Mittwoch an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Im Bundestag beklagte die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi ein Wiedererstarken von Antisemitismus. Sie forderte Widerspruch und ein Eintreten für Demokratie und gegen Rechtsextremismus: „Wer schweigt, macht sich mitschuldig“. Unter anhaltendem Applaus des Plenums beendete sie ihre Rede mit den Worten: „Nie wieder ist jetzt.“

Der 1949 in Polen geborene Sportjournalist Marcel Reif sprach anschließend als Vertreter der zweiten Schoah-Generation. Sein Vater hatte den Holocaust nur knapp überlebt. Der Bundestag erinnert seit 1996 jährlich an die Befreiung der Überlebenden des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch Soldaten der Roten Armee am 27. Januar 1945.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas gedachte der sechs Millionen ermordeten Juden in Europa, der Sinti und Roma sowie „der wegen ihrer politischen Überzeugung, ihres christlichen Glaubens oder als Zeugen Jehovas verfolgten Menschen“, der queeren Menschen und der Opfer der sogenannten Euthanasie. Der Holocaust sei auch für die Überlebenden nie aus ihrem Leben verschwunden, betonte Bas. „Es erfüllt mich mit Scham, dass den Überlebenden lange niemand zuhören wollte“.

Szepesi, die Auschwitz als Kind überlebt hatte, erinnerte an den Terror der Hamas am 7. Oktober in Israel als schlimmsten Angriff auf Juden seit der NS-Zeit. Er habe auch hierzulande den Antisemitismus erneut befeuert. Sie selbst müsse inzwischen unter Polizeischutz in Schulen sprechen. Die Schoah habe mit Worten begonnen, „mit dem Schweigen und Wegschauen der Gesellschaft“, mahnte sie. Es erschrecke sie, dass rechtsextreme Parteien wieder gewählt würden, die die Demokratie bedrohten.

Zuvor hatte Szepesi aus eigenem Erleben geschildert, wie mit der Einführung der NS-Rassengesetze Ausgrenzung, Verfolgung und Deportation begannen. Sie schilderte ebenso eindrücklich wie bedrückend den Verlust ihrer Eltern und Verwandten, ihre Deportation in einem Viehwaggon nach Auschwitz sowie die brutalen und demütigenden Misshandlungen des zwölfjährigen Kindes im KZ. Ihr Lebensweg führte sie nach dem Krieg nach Deutschland. Hier habe sie 50 Jahre über ihre Geschichte geschwiegen. „Ich kann nicht hassen, dafür habe ich zu viel Liebe bekommen“, betonte sie. Nun sei es ihre Lebensaufgabe „für alle zu sprechen, die nicht mehr sprechen können“, so die 91-Jährige.

Reif mahnte Deutschland, die zweite Chance nach dem Holocaust nicht zu verspielen. Die „großen Demonstrationen der Aufrechten machen mir Hoffnung“, betonte er. Seine Familie sei nach dem Krieg über Polen und Israel nach Deutschland, in das „Land der Täter“, zurückgezogen. Sein Vater habe sein Leben lang über den Holocaust geschwiegen. Er selbst habe nicht gefragt – aus Angst, Unfassbares zu hören. Der Vater habe die Kinder so vor den furchtbaren Schatten der Vergangenheit bewahren wollen. Irgendwann sei ihm aber klar geworden, dass sein Vater ihm seine Lebenserfahrung doch mitgeteilt habe, nämlich in dem Satz: „Sei ein Mensch“. Dieses „Vermächtnis“ wolle er auch den Parlamentariern weitergeben.

Studenten der Universität der Künste Berlin umrahmten die Gedenkstunde mit Stücken von Künstlern, die in der NS-Zeit verfolgt oder ermordet worden waren.

Erstmals legten die Unabhängigen Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Antiziganismus, Antirassismus, für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und für die Belange von Menschen mit Behinderung gemeinsam Kränze nieder. „Wir tun es in einer Zeit, in der sich unzählige Menschen durch rechtsextremistische Vertreibungspläne existenziell bedroht fühlen“, hieß es in einer Erklärung. „Kein Mensch in unserem Land darf jemals um die eigene Sicherheit fürchten müssen“.

Der Vorsitzende des Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, bezeichnete das Gedenken als starkes Zeichen für eine wehrhafte Demokratie, „die aus dem Bewusstsein über ihre Vergangenheit entschlossen ist, die Würde aller Menschen in Gegenwart und Zukunft“ zu verteidigen.