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“Papa ist tot” – Mit Kindern über das Lebensende sprechen

Ein Todesfall im engsten Umfeld ist für alle Betroffenen schwer zu ertragen. Viele Eltern fragen sich zudem, wie ehrlich sie gegenüber trauernden Kindern sein sollten. Fachleute warnen vor Beschönigungen.

Als Schneewittchen stirbt, sieht sie aus, als würde sie schlafen. Ihr Körper liegt in einem Sarg aus Glas. Da kommt ein Prinz und rettet sie: Das vergiftete Apfelstückchen fällt aus ihrem Mund und sie ist “wieder lebendig”, so heißt es im Märchen der Brüder Grimm.

Tod taucht in Geschichten und Medien für Kinder immer wieder auf. Allerdings kaum als das, was er für Angehörige bedeutet: den Abschied für immer, ohne Wiederkehr. “Viele Kinder kommen mit dem Tod zum ersten Mal in Berührung, wenn ein Haustier stirbt”, sagt Christian Volberg, Oberarzt an der Palliativstation am Universitätsklinikum Gießen und Marburg. “Andere haben noch keine Vorerfahrungen.”

Eltern bedienten sich dann oft einer bildhaften Sprache, um den Tod vorstellbar zu machen: “Oma sitzt oben im Himmel.” Im Trauerprozess kann dies den Abschied aber erschweren. “Ein Verlust ist je nach Entwicklungsstand für Kinder oft schwieriger zu verkraften als für Erwachsene”, sagt Volberg. “Kinder verstehen oft noch nicht, was Irreversibilität bedeutet – dass also ein toter Mensch nicht wieder kommt.” Einige Bilder könnten sogar neue Ängste schüren: “Wenn Sie einem Kind sagen, dass der Vater ‘eingeschlafen’ ist, dann kann das zu einer Bedrohung werden: Was, wenn mir das passiert? Kann ich noch ruhig schlafen?”

In der Trauerarbeit mit Kindern empfiehlt Volberg deshalb, offen und ehrlich zu sein: “Eltern sollten gegenüber Kindern nicht in abstrakten Formulierungen oder Euphemismen sprechen”, sagt Volberg. “Wenn Sie sagen: ‘Oma ist von uns gegangen’, dann möchte ein Kind wissen: Wohin ist sie denn hingegangen?”

Eine Möglichkeit seien einfache, sachliche Erklärungen: Opa ist schwach, weil der Körper nicht mehr richtig arbeitet. “Man kann ein Kind den toten Menschen auf dem Sterbebett eventuell auch anfassen lassen”, sagt der Mediziner. “Sodass es sehen kann: Der Körper ist jetzt kalt, das Herz schlägt nicht mehr. Es hat sich etwas verändert.”

Wichtig sei es allerdings, im Tempo des Kindes vorzugehen und es zu nichts zu drängen. Besuche im Krankenhaus sollten nur erfolgen, wenn das Kind dies auch möchte. “Auch sollten sie idealerweise vorher mit dem Krankenhauspersonal abgesprochen werden”, rät Volberg, “damit das Kind erklärt bekommt, wofür beispielsweise ein Beatmungsschlauch da ist und auch einen Rückzugsort hat, wenn es nicht mehr im Krankenzimmer sein möchte.”

Für Eltern kann die gemeinsame Trauerarbeit mit Kindern auch persönlich zur Herausforderung werden. Besonders beim Tod des Partners geraten Hinterbliebene in eine Doppelrolle: die des trauernden Angehörigen und die des beschützenden Elternteils. Das gelingt nicht immer. Eltern, die trauern, fühlen sich oft nicht in der Lage, gleichzeitig ihre Kinder aufzufangen und ihnen ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Mit Konsequenzen: “Wenn Eltern traurig sind und weinen, dann ist es das Schlimmste, was einem Kind passieren kann”, sagt Volberg. “Kinder beziehen das oft auf sich selbst. Sie glauben, dass sie schuld sind und etwas falsch gemacht haben.”

Unsichere trauernde Eltern können ihre Gefühle damit auf Kinder übertragen und zusätzlich unter Druck setzen: “Sie wollen ihren Eltern nicht zur Last fallen.” Die Gefühle von Kindern würden deshalb in Trauerphasen oft übersehen. Trauer sehe bei Kindern außerdem oft anders aus als bei Erwachsenen. “Sie zeigt sich bei ihnen nicht immer so offensichtlich”, erklärt der Experte. “Eltern sollten deshalb ihre Kinder gezielt fragen, wie es ihnen geht, was sie fühlen.”

Kinder sollten jedenfalls nicht überfordert werden. “Nach dem Tod eines Familienmitglieds besteht die Gefahr, dass Kindern eine neue Rolle zugeteilt wird”, sagt Volberg. “Der Vater stirbt. Jetzt soll der elfjährige Sohn der Mann im Haus sein. Diese Aufgabe können wir Kindern nicht zumessen.” Die Verantwortung für eine gelingende Trauerarbeit liege bei den Erwachsenen. “Eltern müssen sicherstellen, dass Kinder ihre Identität behalten und Kinder bleiben.”

Wenn sich Eltern in der Trauerphase überfordert fühlen, dann empfiehlt der Fachmann, diese Grenzen anzuerkennen und Hilfe von außen zu holen: zum Beispiel bei psychologischen Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen. Auch andere Familienangehörige können helfen. “Selbst wenn es kein Elternteil, sondern etwa die Tante ist”, sagt Volberg: “Das Kind sollte in der Trauerphase einen festen Ansprechpartner haben.”