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Panikattacke, Schweißausbruch? Hilfe für traumatisierte Soldaten

Irgendwann nahm Hauptfeldwebel Chino eine Persönlichkeitsveränderung an sich wahr – er litt unter Panikattacken. In solchen Situationen sei schnelles Handeln gefragt, mahnt jetzt die Bundeswehr.

Eigentlich sei er ein offener, humorvoller und geselliger Mensch, sagt Yvonne über ihren Mann, den Hauptfeldwebel Chino. Aber irgendwann veränderte er sich. “Es fing an, dass ich mich beengt fühlte. Alles abscannen musste, den ganzen Trubel. Dass ich einzelne Geräusche, Gespräche nicht mehr voneinander trennen konnte. Das Filtern fiel mir schwer”, erinnert sich der Ausbilder der Bundeswehr.

Was die zunehmenden psychischen Belastungen für ihn und seine Frau bedeuteten, erzählt er in einem Film, den die Bundeswehr anlässlich einer neuen Kampagne initiiert hat. Diese soll Angehörige für Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) der Betroffenen sensibilisieren, damit sie rechtzeitig eingreifen können – und eine Heilung nicht verzögert wird. Laut Angaben wurde im Jahr 2023 bei 322 Soldatinnen und Soldaten eine psychische Erkrankung diagnostiziert; 197 litten unter einer PTBS.

“Einsätze hinterlassen Spuren, sind nicht immer sichtbar, aber oft spürbar. Da sind Menschen im nächsten Umfeld gefragt”, so der Generalarzt des Heeres der Bundeswehr, Jörg Ahrens, anlässlich des Starts der Kampagne am Dienstag in Berlin. Ziel sei, eine große Zeitverzögerung bis zur Therapie zu vermeiden, um so die Heilungsaussichten zu verbessern.

Er habe lange versucht, seine Beschwerden möglichst zu ignorieren, erzählt Feldwebel Chino. “Aber irgendwann hat sich der Körper gemeldet mit Schweißausbrüchen, mit Kurzatmigkeit, die Luft blieb mir weg. Panischerweise wusste ich gar nicht, was ich machen soll in so einer Situation. Ich war von mir selber total überrumpelt.” Seine Frau Yvonne sei es gewesen, die die Reißleine zog – und ihm klar machte, dass er sich Hilfe suchen müsse.

So bemerkten Angehörige eine PTBS meist als Erste; sie werde sichtbar durch kleine, dann jedoch immer einschneidendere Veränderungen: Die Betroffenen zeigten, manchmal auch erst längere Zeit nach dem Trauma, ein stark verändertes Verhalten und Gefühlsleben.

“Ihre Reaktionen erscheinen unverständlich und unberechenbar. Über das im Einsatz Erlebte wollen sie nicht sprechen. Angehörige können sich oft den Grund für die Veränderung nicht erklären”, heißt es auf der entsprechenden Website, die die Bundeswehr eingerichtet hat.

Mittels eines Online-Tests können Angehörige dort herausfinden, ob der betreffende Soldat eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickelt hat. Es sei ein erstes, niedrigschwelliges Angebot, um das Problem richtig einschätzen zu können, wie es hieß. Wer akuten Bedarf hat, kann auch die Hotline für Betroffene wählen. So hatten es auch Chino und seine Frau vereinbart, wenn sie das Gefühl hat, dass der Zustand ihres Mannes das Familienleben gravierend negativ beeinflusst.

“Für viele, die im Auslandseinsatz waren, ist der Einsatz noch nicht beendet; er begleitet sie Tag und Nacht”, so der Evangelische Militärbischof, Bernhard Felmberg. Soldaten setzten sich seit Jahrzehnten für Frieden und Stabilität der Bundesrepublik ein. Den Betroffenen zuzuhören und ihnen zu helfen, sei nicht nur Aufgabe von Seelsorge und Kirche, sondern auch gesamtgesellschaftlich wichtig. Das “Desinteresse” der Gesellschaft an dem Schicksal der betroffenen Soldaten sei eine zusätzliche Belastung für sie.

Auch Generaloberstabsarzt Ralf Hoffmann, Befehlshaber Zentraler Sanitätsdienst der Bundeswehr, kam aus dem Einsatz zurück und hatte “einen Knacks” bekommen, wie er erzählt. Im Dienst sei es ihm gelungen, die Fassade aufrecht zu erhalten. “Aber zu Hause funktionierte das nicht mehr.” Hoffmann weist daraufhin, dass Betroffene immer noch stigmatisiert würden. Dagegen helfe nur Aufklärung – vor allem bei jungen und gesunden Soldatinnen und Soldaten.

Anlass zur Entwicklung des Fragebogens und der Informationskampagne waren laut Angaben unter anderem Studien der britischen Streitkräfte. Demnach ist dort ein durchschnittlicher Zeitraum vom Auslöser der Erkrankung bis zur Diagnose und zum Einstieg in eine Therapie von 13 Jahren nicht unüblich.