Oppositions-Chef in Tunesien festgenommen

Vor einem Jahr löste Tunesiens Präsident Kais Saied das Parlament auf und regiert seitdem per Diskret. Rached Ghannouchi, letzter Vorsitzende des Parlaments, wurde nun festgenommen – ohne Begründung.

Ghannouchi umringt von Unterstützern auf dem Weg zum Gericht in Tunis (Februar 2023)
Ghannouchi umringt von Unterstützern auf dem Weg zum Gericht in Tunis (Februar 2023)Imago / ZUMA Wire

Rached Ghannouchi, Anführer der muslimisch-konservativen Ennahdha-Partei in Tunesien, ist nach Angaben seiner Partei am Montagabend in der Hauptstadt Tunis festgenommen und an einen unbekannten Ort gebracht worden. Die Partei forderte die unverzügliche Freilassung des 81-Jährigen sowie ein Ende der Übergriffe gegen Oppositionelle. Ghannouchis Anwalt Mokhtar Jem sagte dem tunesischen Radiosender Mosaique FM, er wisse nicht, was seinem Mandanten vorgeworfen werde. Nach der Festnahme sei das Haus des Mitbegründers der Ennahdha-Partei durchsucht worden.

Aus dem Innenministerium hieß es laut der staatlichen Nachrichtenagentur TAP, die Festnahme Ghannouchis stehe im Zusammenhang mit Äußerungen von ihm aus der Vergangenheit. Rached Ghannouchi hatte am Vorabend bei einer Gesprächsrunde gesagt, der Versuch, eine der politischen Gruppierungen Tunesiens auszuschalten, könnte das Land in den Bürgerkrieg führen. Man könne sich Tunesien „ohne Ennahdha, ohne den politischen Islam, ohne die Linke“ nicht vorstellen.

Zunehmend autoritäre Regierung

Der Ennahdha-Vorsitzende, gegen den mehrere Strafverfahren laufen und der regelmäßig vor Gericht vorgeladen wird, war Vorsitzender des tunesischen Parlaments, das Präsident Kais Saied im März 2022 aufgelöst hatte. Der 2019 gewählte Kais Saied regiert Tunesien zunehmend autoritär. Er hatte im Juli 2021 in einer rechtlich umstrittenen Form den Notstand ausgerufen. Seitdem hat er unter anderem das Parlament aufgelöst und regiert weitestgehend per Dekret. Im Sommer 2022 hat er in einem Referendum eine neue Verfassung verabschieden lassen.

Seit Beginn des Jahres waren bereits mehrere Oppositionelle, aber auch ein Geschäftsmann und ein Radiodirektor festgenommen worden. Ihnen wird eine Verschwörung gegen die Staatssicherheit vorgeworfen, ohne dass nach Darstellung ihrer Anwälte konkrete Beweise vorliegen.