Nur noch ein Kostenfaktor
Mehr Ärzte – aber weniger Pflegepersonal: Patientenschützer sehen die Belastungen im Krankenhaus ungleich verteilt – mit manchmal schlimmen Konsequenzen für die Kranken
BONN – Mehr Studienplätze für künftige Ärzte fordert die Bundesärztekammer. Mehr Pflegekräfte in Krankenhäusern verlangt der Deutsche Pflegerat. Im Wahlkampf war es ein junger angehender Krankenpfleger, der Bundeskanzlerin Angela Merkel die Leviten las: Die Würde der Alten und Kranken in Deutschland werde jeden Tag tausendfach verletzt; Menschen lägen stundenlang in ihren Ausscheidungen, weil es in Kliniken und Pflegeheimen am nötigen Personal fehle.
Klar ist, dass eine alternde Gesellschaft beides braucht: mehr Ärzte und mehr Krankenpflegekräfte. Denn die Zahl der älteren, chronisch und mehrfach erkrankten Patienten nimmt stark zu. Allerdings gibt es vielfach Konkurrenz und Misstrauen zwischen den Gesundheitsberufen.
Pflegekräfte sollten sich besser organisieren
Über Jahrzehnte hätten die Krankenhäuser auf Kosten der Pflege gespart, während die Ärzte mit Hilfe einer starken Lobby und ihrem hohen Prestige deutliche Tariferhöhungen erkämpft hätten, erklärte Karl-Josef Laumann, Patientenbeauftragter der Großen Koalition. Er forderte die Pflege auf, sich besser zu organisieren und eine stärkere Stimme im Gesundheitswesen zu werden. Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz beklagt immer wieder, dass im deutschen Krankenhaus-System über Jahre bei der Pflege am Bett gespart worden sei.
Kürzlich haben Patientenschützer konkrete Zahlen vorgelegt: Danach ist die Zahl der Ärzte in Deutschland zwischen 1991 und 2016 um 66 Prozent auf 158 100 gestiegen. Zeitgleich sank die Zahl der Pflegekräfte in Krankenhäusern um 0,3 Prozent auf 325 100.
Ständige Zeitnot macht Angestellte krank
Auswirkungen hat das auch auf die Dichte der Arbeit: Zwar stiegen die Fallzahlen in den vergange-nen 25 Jahren um 34 Prozent auf 19,53 Millionen Krankenhausaufenthalte. Zugleich aber sank die Fallzahl je Arzt um 19 Prozent auf 123,5. Anders in der Pflege: Dort stieg die Fallzahl je Pflegekraft um 34 Prozent auf 60,08.
Gesundheitsexperten machen dafür auch die Einführung des Fallpauschalen-Systems seit 2003 verantwortlich. Seitdem können die Kliniken mehr Geld vor allem durch eine steigende Zahl an Operationen verdienen, nicht mehr durch längere Aufenthalte der Patienten. In diesem Finanzierungssystem ist Pflege dagegen ein reiner Kostenfaktor.
Mittlerweile warnen Pflegeexperten ebenso wie Berufsverbände und Gewerkschaften, dass die unzureichende Zahl an Pflegekräften längst zu einem Gesundheitsrisiko geworden ist. Personalmangel und hoher Zeitdruck bedeuteten, dass menschliche Zuwendung zu den Patienten zu kurz komme. Sie seien auch ein Grund für mangelnde Hygiene, die etwa zu Krankenhausinfektionen führen könne.
Auswirkungen hat das auch auf die Gesundheit der Pflegekräfte: Die ständige Zeitnot mache die Beschäftigten krank, kritisiert etwa die Gewerkschaft Verdi. Nach einer Umfrage des Dachverbandes der Betriebskrankenkassen sind überdurchschnittlich viele Beschäftigte in der Pflege überzeugt, ihren Beruf nicht langfristig ausüben zu können. In der Krankenpflege war sich jeder vierte Befragte nicht sicher, den Beruf weiter zu praktizieren.
Arbeitgeber und Pflegende fordern deshalb dringend Maßnahmen, um die Pflegeberufe attraktiver zu machen. Zuletzt hatte die Große Koalition einige Weichen neu gestellt. „Wir haben die Zahlung von Tariflöhnen in der Pflege gestärkt, unterstützen Pflegeeinrichtungen beim Bürokratieabbau und haben das Schulgeld in der Altenpflegeausbildung abgeschafft", sagt Hermann Gröhe, in der Großen Koalition Gesundheitsminister. Auch bei den Personaluntergrenzen tut sich etwas: Die Politik hat Termine gesetzt, bis zu denen Personalschlüssel in Pflegeheimen und Krankenhäusern definiert und eingeführt werden müssen.
Auch dann aber müssen Menschen davon überzeugt werden, den Pflegeberuf auszuüben. Einen möglichen Weg hat der neue Präsident des Deutschen Pflegerates, Franz Wagner, angedeutet: „Wir haben eine wahnsinnig hohe Teilzeitquote in der Pflege“, sagte er kürzlich. Zudem gebe es Zehntau-sende von Menschen, die den Beruf wegen der schlechten Bedingungen verlassen hätten. „Wenn man sie zurückholen könnte, ließe sich das Problem verkleinern.“