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Nürnberger Prozesse vor 80 Jahren: Todesurteile gegen NS-Verbrecher

Als am 20. November 1945 die Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesse gegen 22 Nazi-Größen beginnen, ist dies auch ein Meilenstein für das Völkerstrafrecht. Im Schwurgerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalastes wird erstmals über die individuelle Schuld der Angeklagten in diesen zentralen Punkten verhandelt: gemeinsamer Plan oder Verschwörung zur Führung von Angriffskriegen, Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen. Der Massenmord an den Juden war kein eigener Anklagepunkt, er wurde vor allem unter Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhandelt.

Der Prozess führt einer breiteren Öffentlichkeit die Untaten des NS-Regimes vor Augen. „Jetzt sitzen also der Krieg, der Pogrom, der Menschenraub, der Mord en gros und die Folter auf der Anklagebank“, notierte damals Schriftsteller Erich Kästner in einem Artikel für die „Neue Zeitung“. „Riesengroß und unsichtbar sitzen sie neben den angeklagten Menschen.“

Als der Internationale Militärgerichtshof die Anklage erhob, waren die Hoffnungen von Opfern und Angehörigen groß. „Jeder von uns hat die Prozesse gewollt“, sagte der mittlerweile verstorbene gebürtige Nürnberger Jude Ernest Lorch vor fünf Jahren dem Evangelischen Pressedienst (epd). In der Pogromnacht 1938 wurde sein Vater von SA-Truppen totgeprügelt, die restliche Familie floh in die USA, erinnerte sich der 97-jährige US-Amerikaner damals. Lorch meldet sich 1941 als Freiwilliger bei der US-Army: „Ich wollte unbedingt gegen die Nazis kämpfen.“

Vor 80 Jahren war er als 22-jähriger US-Soldat dann bei dem Konvoi dabei, der hochrangige Nazi-Funktionäre von Luxemburg nach Nürnberg zum Kriegsverbrecherprozess brachte. Darunter waren Reichsmarschall Hermann Göring, Botschafter Franz von Papen, Rüstungsminister Albert Speer und der Nürnberger Gauleiter und Hetzer Julius Streicher. Zu den Angeklagten gehörten außerdem Rudolf Heß, Hitlers Stellvertreter in der NSDAP, und – in Abwesenheit – Martin Bormann.

Knapp ein Jahr nach Prozessbeginn, am 30. September und 1. Oktober 1946, wurden zwölf Angeklagte im Hauptkriegsverbrecherprozess zum Tode verurteilt. Göring entzog sich durch Suizid der Hinrichtung. Für drei Täter, darunter Heß, ordnete das Gericht lebenslange Haft, für vier langjährige Haftstrafen an. Drei Angeklagte, darunter auch von Papen, wurden freigesprochen. Zwischen 1946 und 1949 fanden die zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse statt, darunter der Ärzteprozess, der Prozess gegen das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt sowie gegen die Wirtschaftskonzerne Flick, I.G. Farben und Krupp.

Heute ist der Saal 600 Teil des Museums Memorium Nürnberger Prozesse. Zum 80. Jahrestag lädt das Memorium zu einem Vortragswettbewerb ein, einem History Slam. Das Leitmotiv der NS-Prozesse, „Recht sprechen, nicht Rache üben“, stehe im Mittelpunkt, erklärt Sophia Brostean-Kaiser vom Memorium. „Davon können wir angesichts der heutigen Weltpolitik viel lernen.“

Die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen leitete aus den Nürnberger Prozessen die „Nürnberger Prinzipien“ ab. Sie stellen klar, dass jede Person, die ein völkerrechtliches Verbrechen begeht, hierfür auch strafrechtlich verantwortlich ist. Davor kann weder nationales Recht noch die Position als Staatsoberhaupt oder Regierungsmitglied schützen. Sie gelten seit 1950 als verbindliche völkerrechtliche Prinzipien.

Doch zum 80. Jahrestag ihres Ursprungs mag so recht keine Feierstimmung aufkommen. „Das wertebasierte Völkerrecht hat gerade keine Konjunktur“, stellt der Professor für Völkerstrafrecht, Christoph Safferling, fest. Er ist zugleich Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien, die sich der Förderung der internationalen Strafjustiz und der Menschenrechte widmet.

Sowohl das Völkerstrafrecht als auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag befänden sich derzeit in einer „Bewährungsprobe“. Der Internationale Strafgerichtshof werde unter anderem nicht von den USA, China und Russland – allesamt ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates – als unabhängiger Gerichtshof zur Ahndung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen akzeptiert. Safferling hofft auf ein Wiedererstarken des Völkerrechts: „Wir brauchen jetzt ein ‘zweites Nürnberg’.“