NRW-Diakonie in Sorge um den Offenen Ganztag

Wegen kräftiger Tarifsteigerungen geraten viele Träger des Offenen Ganztags an Grundschulen (OGS) in Geldnot. Mitunter bleiben sie auf Kosten im sechsstelligen Bereich sitzen, es drohen Schließungen.

Eine gute OGS bietet eine hochwertige pädagogische Begleitung, zu der auch eine Hausaufgabenbetreuung gehört
Eine gute OGS bietet eine hochwertige pädagogische Begleitung, zu der auch eine Hausaufgabenbetreuung gehörtPixabay

Noch schätzt sich Julia Othlinghaus-Wulhorst glücklich mit der Nachmittagsbetreuung ihrer beiden Söhne. „Meine Kinder gehen sehr gerne in die OGS“, sagt die Vorsitzende der Stadtschulpflegschaft in Mülheim an der Ruhr. Doch wie viele Eltern in Nordrhein-Westfalen macht sie sich Sorgen, ob das so bleiben wird. Denn wegen der hohen Tarifsteigerungen für die Gehälter ihrer Beschäftigten rutschen derzeit viele Träger des Offenen Ganztags in die tiefroten Zahlen.

So fürchten die Diakonie in Mülheim an der Ruhr und andere Träger der freien Wohlfahrtspflege, ihr Angebot reduzieren oder sogar schließen zu müssen. „Es wäre eine Katastrophe, wenn diese Strukturen wegbrechen würden“, sagt Othlinghaus-Wulhorst. „Die Situation ist sehr verunsichernd für die Eltern.“

Diakonisches Werk: „Dramatische Entwicklungen“

„Das, was gerade passiert, ist dramatisch“, bestätigt Birgit Hirsch-Palepu, Geschäftsführerin des Diakonischen Werks im Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr. Auch in der Vergangenheit habe die Diakonie als OGS-Träger aus eigenen Geldmitteln zuschießen müssen, um eine qualitativ gute Nachmittagsbetreuung für die Grundschulkinder aufrechtzuerhalten. Oft sei es schwierig gewesen, aber man habe immer Lösungen gefunden.

„Jetzt bin ich zum ersten Mal ratlos“, sagt Hirsch-Palepu, die den Arbeitsbereich Offener Ganztag vor 19 Jahren bei der Diakonie in Mülheim aufgebaut hat. Wenn sich an der Refinanzierung der OGS nichts ändere, müsse die Diakonie über kurz oder lang entscheiden, ob sie sich aus diesem Arbeitsbereich zurückziehe. „Und zwar nicht, weil wir das wollen, sondern weil wir das müssen. Irgendwann ist das Sparbuch leer.“

Kein Ausgleich von Land und Kommunen

Das Problem der Träger: Die Gewerkschaften und die Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst hatten sich im August auf einen Inflationsausgleich und eine kräftige Steigerung der Gehälter geeinigt. Diese muss die Diakonie nun an ihre Beschäftigten weitergeben. Das bedeutet erhebliche Mehrkosten für den Betrieb der Offenen-Ganztags-Einrichtungen. Diese werden aber nicht durch höhere Zuwendungen von Land und Kommune ausgeglichen.

Die Diakonie bleibt also als Träger auf dem Großteil der Personalkostensteigerungen sitzen. Allein in diesem Jahr seien das Gehaltsanhebungen um 3,66 Prozent, erklärt Hirsch-Palepu. Ab dem 1. März kämen noch einmal Tarifsteigerungen um durchschnittlich zwölf Prozent hinzu. Daneben erhalten die Beschäftigten auch noch Zulagen sowie einen Inflationsausgleich. Insgesamt führe das im kommenden Jahr zu Mehrkosten von 571 000 Euro, rechnet die Geschäftsführerin vor. „Es liegt auf der Hand: Eine solche Summe können wir nicht an anderer Stelle einsparen.“

Massive Kostensteigerungen

Die OGS werden vom Land Nordrhein-Westfalen und den Kommunen finanziert. Das Land zahlt einen Festbetrag pro Kind, im kommenden Jahr sind das 1073 Euro pro Platz. Die Kommunen müssen einen Mindestbetrag beisteuern. Manche Kommunen zahlen darüber hinaus aber mehr, um die Qualität ihrer OGS zu sichern. „Wir sind mit Politik und Verwaltung im Gespräch“, sagt Hirsch-Palepu. Es gebe zwar auf allen Seiten Verständnis für die schwierige Lage der OGS-Träger.

Doch mehr Geld wolle keine Seite zusagen. Land und Kommune schöben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Das Landesschulministerium verweise lediglich auf die gesetzlich vorgeschriebene jährliche Steigerung von drei Prozent für die OGS. Diese sei schließlich auch in Jahren ohne hohe Tarifsteigerungen gezahlt worden. „Aber das ist eine Milchmädchenrechnung“, widerspricht Hirsch-Palepu. „Denn die Landesförderung ist ja nicht auskömmlich.“

Wenn die OGS nicht besser finanziert werden, müssen diese ihr Angebot reduzieren oder ganz schließen
Wenn die OGS nicht besser finanziert werden, müssen diese ihr Angebot reduzieren oder ganz schließenPixabay

Tim Rietzke, Geschäftsfeldleitung Familie und junge Menschen beim Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL), sagt: „Die aktuell massiven Kostensteigerungen bewirken, dass die nur minimalen Erhöhungen wie Kürzungen wirken.“ Die dreiprozentige Steigerung, die die Landesregierung im kommenden Haushaltsjahr für die OGS eingeplant habe, sei zu wenig. „Land und Kommunen müssen jetzt den Offenen Ganztag retten“, fordert Rietzke.

Auch die Mülheimer Stadtschulpflegschaftsvorsitzende Othlinghaus-Wulhorst warnt: „Die Träger müssen jetzt dringend unterstützt werden. Wir können uns nicht leisten, dass sie vor die Wand laufen und aufgeben müssen.“ Viele Eltern hätten Angst, dass die Qualität der OGS deutlich heruntergefahren werde, wenn Träger absprängen. „Wir wollen nicht, dass unsere Kinder nur verwahrt werden.“ Aber genau das befürchten die Eltern. Denn selbst wenn die Stadt Ersatz für die bewährten OGS-Träger finde, sei das keine Lösung. „Das erfahrene Personal wird dann abwandern. Und ich glaube nicht, dass andere Träger zu schlechteren Konditionen ebenso gute Mitarbeiter finden würden.“

Es braucht einen OGS-Rettungsschirm

Tatsächlich sei die Refinanzierung durch Land und Kommune nur dann auskömmlich, wenn die OGS-Beschäftigten unter Tarif bezahlt würden, erklärt Hirsch-Palepu. Das komme aber für die Wohlfahrtsverbände nicht infrage. „Wir kommen mit dem Geld nur deshalb nicht aus, weil wir unseren Mitarbeitenden genau dieselben Gehälter zahlen, die auch die Kommune ihren Beschäftigten zahlt“, stellt Hirsch-Palepu klar. Die Diakonie habe viele engagierte Mitarbeitende, die an den Träger gebunden seien. „Zudem haben wir auch aus eigenen Mitteln in Qualifikation und Weiterbildung investiert.“ Es sei nicht zu erwarten, dass dieses erfahrene Personal unter einem anderen Träger zu schlechteren Konditionen arbeiten werde, vermutet Hirsch-Palepu. „Angesichts des Fachkräftemangels finden die sofort wieder eine Stelle, wo nach Tarif gezahlt wird.“

So sieht es auch Othlinghaus-Wulhorst: „Es muss jetzt Geld zur Verfügung gestellt werden, und es müssen Gesetze geschaffen werden, die auch die Qualität der OGS sichern“, fordert die Elternvertreterin. Hirsch-Palepu sieht nur einen Weg, wie das System OGS noch gesichert werden kann: „Wir brauchen für die OGS einen Rettungsschirm des Landes Nordrhein-Westfalen nach dem Modell des Rettungsschirms für die Kitas.“

Was fehlen würde, wenn engagierte Mitarbeitende die OGS verlassen würden, hat Hirsch-Palepu am 12. Oktober wieder einmal erlebt. An diesem Tag wurde der Mülheimer Grundschule im Dichterviertel zum zweiten Mal der Deutsche Schulpreis verliehen. „Unsere OGS war ein ganz maßgeblicher Teil des Konzepts“, berichtet die Diakonie-Geschäftsführerin stolz. Und als die Kinder bei der Preisverleihung gefragt wurden, was das Schönste an der Schule sei, hatten sie eine klare Antwort: die OGS. Das sei auch dem motivierten OGS-Team zu verdanken, sagt Hirsch-Palepu. „Wenn engagierte Menschen mit Herz dabei sind, dann passieren großartige Dinge im Sinne unserer Kinder.“

Dieser Gastbeitrag stammt von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL)