Noch geht was

Eine neue Studie zeigt: Die Zahl der Kirchenmitglieder könnte sich bis 2060 halbieren – und die finanziellen Möglichkeiten ebenfalls. Kirchenleitungen reagieren verhalten optimistisch auf diese Herausforderung

FRANKFURT A.M. – Die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland könnte sich einer wissenschaftlichen Prognose zufolge bis zum Jahr 2060 halbieren. Wie Finanzwissenschaft- ler der Universität Freiburg berech- neten, werden bei einer Fortsetzung der zurückliegenden Mitgliederent- wicklung in rund 40 Jahren nur noch 22,7 Millionen Menschen einer der großen christlichen Kirchen angehö- ren. Im Jahr 2017 zählten katholische und evangelische Kirche zusammen noch 44,8 Millionen Mitglieder. Die Prognose basiert auf der demografi- schen Entwicklung und der Annah- me, dass sich die Trends bei Taufen sowie Ein- und Austritten fortsetzen.
Das Forschungszentrum Genera- tionenverträge (FZG) der Freiburger Universität hat für die katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) auch berechnet, wie sich die
Höhe der Kirchensteuer bis 2060 ver- ändern wird. Demnach werden bei- de Kirchen im Jahr 2060 rund zwölf Milliarden Euro an Kirchensteuern zur Verfügung haben. Das ist fast
ebenso viel wie im Jahr 2017, obwohl sich die Zahl der Mitglieder halbie- ren wird. Zu erklä- ren ist das laut den Forschern haupt- sächlich durch steigende Löhne und Gehälter in den kommenden Jahrzehnten.
Allerdings wer- den sich die Kir- chen trotz der vo- raussichtlich weit- gehend gleich- bleibenden Ein- nahmen wegen
des Kaufkraftverlustes nur noch die Hälfte des Bisherigen leisten können. Damit sich die Kirchen von ihren Steuereinnahmen im Jahr 2060 den gleichen „kirchlichen Warenkorb“
leisten können wie 2017, bräuch- ten sie Kirchensteuereinnahmen in Höhe von knapp 25 Milliarden Euro, heißt es in der Studie.
Während im Jahr 2017 noch mehr als jeder Zweite einer der beiden Kir- chen angehörte, wird es im Jahr 2060 voraussichtlich nur höchstens je- der Dritte sein, legt man die Bevöl- kerungsprognose des Statistischen Bundesamts zugrunde. Für die For- scher ist dabei entscheidend, dass der Grund für die sinkenden Mitglie- derzahlen nicht allein in der demo- grafischen Entwicklung liegt. Weil mehr Menschen aus der Kirche aus- treten und zugleich immer weniger Kinder getauft werden, fehlt es der Kirche an gläubigem Nachwuchs.
Der Leiter der Studie, Finanz- wissenschaftler Bernd Raffelhüs- chen, rät den Kirchen, gezielt nach Möglichkeiten zu suchen, wie sie das Tauf- und Austrittsverhalten
der Gläubigen beeinflussen können. Auch der Ratsvorsitzende der Evan- gelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, sieht ei- nen Spielraum, auf die vorherge- sagte Entwicklung noch Einfluss zu nehmen. „Manches am Rückgang an Kirchenmitgliedern werden wir nicht ändern können. Anderes aber schon“, sagte er.
„Wir warten nicht, bis uns die Ent- wicklung einholt“, sagte die westfä- lische Präses Annette Kurschus in Bielefeld, die auch stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD ist. Es sei wichtig, den Weg des Wandels aktiv zu gestalten. Der Blick der Kirche sei vom Vertrauen auf Gott geprägt und gerade dadurch nüchtern und rea- listisch, so Kurschus. Für den Vorsit- zenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Rein- hard Marx, ist die Studie ein „Aufruf zur Mission“. epd