Der Repräsentant des deutschen Judentums und ein Wortführer des liberalen Islams treffen sich und reden über interkulturelles Miteinander. Das verspricht zwar wenig Kontroverse, aber Einblicke aus verschiedenen Richtungen.
Ahmad Mansour und Josef Schuster stammen aus gegensätzlichen Welten und haben doch vieles gemeinsam. Beide wurden in Israel geboren und prägen heute die gesellschaftliche Debatte in Deutschland mit. Beide stehen rund um die Uhr unter Polizeischutz: Für Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, gehört das quasi zum “Berufsprofil”; der palästinensischstämmige Islamismusexperte Mansour ist eine zentrale Hassfigur der radikalislamischen Szene. Die Beamten, die ihn seit acht Jahren begleiten, seien inzwischen Teil seiner Familie, erzählt er gleich zu Beginn des in dieser Woche im Verlag Herder erschienenen Gesprächsbands “Spannungsfelder: Leben in Deutschland”.
Das Buch dokumentiert den Austausch zwischen Schuster und Mansour bei vier Begegnungen im Juli, September und November 2023 sowie im Juni 2024, also jeweils zwei vor und nach dem Terrorangriff der Hamas und dem Beginn des Gaza-Kriegs. So wird deutlich, wie tief die Eskalation auf den obersten jüdischen Repräsentanten in Deutschland und den liberalen Muslim eingewirkt haben. “Das sind die schwersten Wochen meines Lebens”, bekennt Mansour rund einen Monat nach der Eskalation. Die Hassmails gegen ihn, der sich klar gegen die Hamas erklärt, haben da noch einmal zugenommen. “Vor allem auch als Araber, als Muslim als Verräter dargestellt zu werden, ist nicht einfach.” Viele arabische Freunde habe er inzwischen verloren.
Schuster beklagt im November-Gespräch, dass die proisraelische Meinung in der Bevölkerung kippe. Auf deutschen Straßen tobten sich da gerade antisemitische Aggressionen nicht nur von Muslimen aus. Muslimischen Verbänden wirft er Hasspropaganda vor. Noch schwerer wiegt sein Urteil über Teile der deutschen Öffentlichkeit. So höre er zu den judenfeindlichen Protesten nur “dröhnendes Schweigen der meisten Kultureinrichtungen” und vermisse abschreckende Strafen der Justiz gegen die Täter.
Schusters Eltern kehrten 1956, zwei Jahre nach seiner Geburt in Haifa, zurück nach Würzburg. Mansour kam 1976 als arabischer Israeli zur Welt und 2004 zum Studium nach Berlin. Immer wieder wechseln die von der Journalistin Shelly Kupferberg moderierten Gespräche zwischen der Lage in Nahost und der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Es geht um das Ankommen in einem zunächst fremden Land, um Probleme der gegenwärtigen Migrationspolitik, um deutsche Erinnerungskultur und den Aufstieg des Rechtspopulismus, um Fragen von Schuld und Versöhnung.
Beide Diskutanten sprechen vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Familientraumata: Schuster als Nachfahre von Holocaustüberlebenden, die vor der lebensrettenden Ausreise nach Palästina in Dachau und Buchenwald inhaftiert waren; Mansours Familiengeschichte wiederum ist geprägt von der Vertreibung durch die Israelis 1948, was zunächst auch ihn zum Antisemiten und Anhänger der radikalen Muslimbruderschaft machte. Bis Begegnungen und schließlich Freundschaften mit Jüdinnen und Juden ihn zweifeln ließen und seine Sicht auf das Gegenüber veränderten.
Für den Autor und Psychologen, der unter anderem Präventionsprojekte mit Jugendlichen leitet, liegt in solchen Begegnungen der Schlüssel: “Ich merke, dass nicht jeder, der irgendwie antisemitisch sozialisiert wurde, auch antisemitisch bleiben muss.”
Schuster zweifelt ebenfalls – jedoch an den Zukunftsperspektiven für Juden in Deutschland, angesichts hoher Umfragewerte für die AfD und eines wachsenden Judenhasses unter Muslimen. Der Koffer sei zwar weiterhin ausgepackt, “man schaut aber schon mal wieder, wo der leere Koffer eigentlich steht für den Fall der Fälle”.
Echte Kontroversen liefert das Buch nicht. Schuster und Mansour sind sich über die jeweiligen “Spannungsfelder” weitgehend einig. Beide sehen die illegale Einwanderung Hunderttausender Muslime kritisch, fordern im Nahostkonflikt eine Zwei-Staaten-Lösung oder halten die deutsche Erinnerungskultur als Mittel gegen Antisemitismus nur für bedingt tauglich. Dafür zeigt der Band Linien auf, an denen Juden und Muslime sich treffen können – sinnvoll in einer Zeit, in der das Dialogklima zwischen beiden Seiten vergifteter erscheint denn je.