Neues Buch über einen Holocaust-Überlebenden aus Ostfriesland

Albrecht Weinberg überlebte Auschwitz und Bergen-Belsen. Jahrzehntelang sprach er nicht über seine dunklen Erlebnisse. Eine besondere Begegnung brachte ihn dann aber dazu, seine Geschichte zu erzählen.

Es gibt nicht mehr viele Menschen, die das erlebt haben: Albrecht Weinberg hat die Schrecken des Nationalsozialismus am eigenen Leib erfahren. Er hat die Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt. In einem kürzlich erschienen Buch hat der Journalist Nicolas Büchse die Geschichte des heute 99-Jährigen aufgeschrieben.

„Damit die Erinnerung nicht verblasst wie die Nummer auf meinem Arm“, heißt das Buch und spielt damit auf die Ziffern an, die Weinberg bei seiner Ankunft in Auschwitz eingebrannt wurden. Der Tätowierer stach damals zunächst nicht so tief zu. „Vielleicht wollte er mir ein wenig Schmerz ersparen, weil er wusste, welches Ausmaß an Schmerz hier noch auf mich wartete“, protokolliert Büchse Weinbergs Erinnerungen. Als er die ersten beiden Ziffern mit den Fingern verwischte, zwang ihn ein SS-Mann zum Nachtätowieren. „Diesmal stach der Tätowierer fester zu – und so sehe ich bis heute jeden Morgen, wenn ich mich wasche, diese schiefe Nummer auf meinem Arm und meine Gedanken jagen sofort wieder in die Lager.“

Weinberg wird 1925 in einer jüdischen Familie in der Nähe des ostfriesischen Leer geboren. Dort wächst er mit seinen beiden älteren Geschwistern Friedel und Dieter auf. Weihnachten feiern sie mit den christlichen Nachbarn unter deren Tannenbaum. Zum jüdischen Lichterfest Chanukka lädt die Familie die Nachbarn ein. Doch so sehr sie sich um ein gutes Miteinander bemühen – Vater Alfred wird immer nur der „Jööd Weinberg“ (plattdeutsch für „Jude“) genannt.

1936 müssen Albrecht und Friedel auf eine jüdische Schule wechseln. Die Schüler des benachbarten Gymnasiums bespucken und beschimpfen sie. Der Vater muss seinen Viehhandel schließen, die Familie ihr Haus aufgeben. Die Schikanen gipfeln in den Novemberpogromen 1938. SA-Männer schlagen Tür und Fenster der Wohnung der Familie kaputt und jagen sie aus dem Haus durch die Straßen.

Albrecht und Friedel werden zunächst auf einen Gutshof nach Breslau gebracht und 1942 nach Auschwitz deportiert. Bei der Ankunft verliert der 18-jährige Albrecht seine Schwester. Er muss im Außenlager Monowitz für das Chemieunternehmen IG Farben schuften und erträgt Schläge, Demütigungen, Hunger.

„Die schlimmste Zeit unseres Lebens begann“, heißt es im Buch. „Nach einigen Wochen in Monowitz scheute keiner von uns mehr davor zurück, über die Leichen im Gang zu laufen. Niemand störte sich mehr an ihrem Geruch. Manchmal stellte jemand erst morgens fest, dass sein Bettnachbar gestorben war.“

Als 1945 die Russen näher rücken, räumen die Nazis das KZ Auschwitz. SS-Männer treiben Albrecht und andere Häftlinge auf sogenannten Todesmärschen durch das Land. In überfüllten Zügen werden sie in das Lager Dora-Mittelbau im Harz gebracht. Als die Engländer näher kommen, geht es schließlich nach Bergen-Belsen in der Lüneburger Heide.

„Bergen-Belsen war ein Massengrab“, so das Buch. „Ich lag auf dem Boden, inmitten eines Berges von Gerippen, von Toten und Lebenden, die zu Tode erschöpft waren. Ich lag dort, halbtot, und sah den Panzer in das Lager fahren.“ Der Panzer gehört den Engländern, die das Lager im April 1945 befreien. Der Krieg ist vorbei. Albrecht wiegt noch 29 Kilogramm. Seinen Glauben an Gott hat er in Auschwitz verloren.

Auch Friedel und Dieter haben den Holocaust überlebt. Ihre Eltern und mehr als 40 weitere jüdische Verwandte sind von den Nazis ermordet worden. Albrecht wandert mit seiner Schwester nach New York aus. Sie wagen einen Neuanfang, weit weg von dem Erlebten. Von ihren Erinnerungen an den Holocaust wollen die meisten Menschen nichts wissen. Und so schweigen Albrecht und Friedel lange – wie viele andere Überlebende auch.

Erst ab den 1980er Jahren nähern Sie sich dem Land der Täter wieder an. Bei einem Besuch in Leer schließen sie Freundschaften. 2012 kehren sie zurück nach Ostfriesland. Friedel stirbt bald darauf. Albrecht trifft auf die Altenpflegerin Gerda Dänekas, die ihn überzeugt, sein mehr als 60-jähriges Schweigen zu brechen.

Seitdem erzählt er seine Geschichte in Schulen, auf Gedenkveranstaltungen, im Fernsehen. „Das gibt mir eine Genugtuung, dass ich das kann und dass man mir zuhört“, sagte er kürzlich dem NDR. Eine Schule in seinem Heimatdorf hat sich inzwischen in Albrecht-Weinberg-Gymnasium umbenannt.

Seit drei Jahren lebt Albrecht Weinberg mit Gerda Dänekas in einer WG. Er hat ein friedvolles Zuhause in Deutschland gefunden. Sorgen bereitet ihm jedoch, dass der Antisemitismus hierzulande wieder zunimmt. „Wer hätte das gedacht, nach dem Holocaust.“