Neuer ranghöchster Lutheraner Stubkjaer im Interview

Er ist der neue ranghöchste Lutheraner: Henrik Stubkjaer (61), Bischof im dänischen Viborg und seit Samstagabend Präsident des Lutherischen Weltbundes. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) mit ihm unmittelbar nach seiner Wahl gesprochen.

KNA: Bischof Stubkjær, was bedeutet es für Sie, ein Lutheraner zu sein?

Stubkjaer: Für mich bedeutet es, befreit durch Gottes Gnade zu sein. Das ist das Allerwichtigste. Aus dieser Erkenntnis kommt alles andere: Wenn Sie durch Gottes Gnade befreit sind, sind Sie durch die Liebe Gottes befreit. Das heißt: Sie müssen nicht in ihren egozentrischen Zirkeln bleiben. Sie können für ihren Nächsten eintreten und sich um den Nachbarn in Not kümmern.

KNA: Ist „befreit durch Gottes Gnade“ heute wirklich noch relevant?

Stubkjaer: Ich habe schon eine große Zahl von Menschen getroffen, die in ihren eigenen Taten gefangen sind. Viele Menschen zerbrechen unter dem Alltagssress. Wir haben uns immer wieder eingeredet: Du bist, was du tust. Du stehst in einem Wettbewerb mit anderen. Das ist der Grund, warum wir die Bibel brauchen: Sie sagt uns, dass wir glauben dürfen, geliebte Kinder Gottes zu sein. Das reicht völlig aus. Wir brauchen unsere eigenen Taten nicht. Wir müssen uns nicht stressen. Und das ist eine wichtige Botschaft für uns im globalen Westen.

KNA: Was bedeutet der Lutherische Weltbund für Sie?

Stubkjaer: Für uns als Kirchen ist das ein Treffpunkt, wo wir einander treffen können. Wir haben eine Plattform, wo wir frei und offen miteinander sprechen können. Einen Ort, wo wir aufeinander hören können. Wo wir Inspiration bekommen. Die Versammlung hier in Krakau ist ja eine fantastische Inspirationsquelle: Unsere Andachten, unsere Gottesdienste, unsere Keynote-Speaker, die Arbeit in den Dorfgruppen, wo wir in einen engen Dialog mit Menschen aus anderen Regionen kommen. Für mich ist der LWB deshalb auch eine Kraftquelle.

KNA: Die polnische lutherische Kirche ist eine Minderheitenkirche. Die Kirchen in Deutschland, aber auch in Dänemark verlieren Mitglieder. Was ist Ihr Rezept dagegen?

Stubkjaer: Ich glaube, wir können nicht anderes machen, als an unserer Theologie zu arbeiten. Wir müssen Wege finden, um unsere Gesellschaft und die Menschen anzusprechen. Ein gutes Beispiel dafür ist unser „Baby-Salmesang“: Da laden wir als Kirche frisch gebackene Eltern mit ihren Kindern ein. Wir sitzen auf dem Boden der Kirche oder der Gemeindehäuser und singen für die Babys Lieder.

KNA: Haben Sie das auch selbst gemacht?

Stubkjaer: Ja, das habe ich. Als ich davon das erste Mal gehört habe, habe ich das für eine etwas verrückte Idee gehalten: Die Kinder verstehen ja noch nichts. Aber ich bin von der Idee überzeugt worden, als ich gesehen habe, was da geschieht: Wenn du als Elternteil in der Kirche sitzt und aus 40 Zentimeter Abstand für dein Kind singst, dann macht das etwas mit deinem Kind und auch mit dir als Elternteil.

Eine unserer großen dänischen Zeitungen, „Jyllandsposten“, schrieb vor einiger Zeit, dass sie davon ausgingen, dass 25 Prozent der neu geborenen Kinder in Dänemark am „Baby-Salmesang“ teilnehmen. Und das sind ja ganz imponierende Zahlen. Und sie zeigen doch, dass wir heute eine Offenheit gegenüber der Kirche erleben, die wir so vor einigen Jahren vielleicht noch gar nicht hatten. Das müssen wir nutzen: Wir müssen immer daran denken, dass wir als Kirche in die Welt gesandt wurden. Und wir sollen dort sein, in der Welt.

KNA: Ein anderes Phänomen, dass man in Europa beobachten kann, ist, dass in fast allen europäischen Staaten rechtsextreme Parteien an Boden gewinnen. In Dänemark ist es die Dansk Folkeparti, in Schweden die Schwedendemokraten und in Deutschland die AfD. Was kann die Kirche da tun?

Stubkjaer: Ich glaube, dass die Kirche eine wichtige Aufgabe darin hat, gegen alle Formen des Extremismus vorzugehen. Ich muss sagen, ich bin immer noch von unserem Besuch als LWB in Auschwitz beeindruckt. Was wir dort gesehen haben, war ja genau der Endpunkt der Exklusion und des Extremismus. Und das darf niemals wieder geschehen. Deshalb haben wir eine Aufgabe als Kirche. Wir gehen ja davon aus, dass Gott die Welt geschaffen hat. Und dass Gott den Menschen nach seinem Bild erschaffen hat. Und deshalb müssen wir gegen jede Form der Exklusion vorgehen, die wir in der Gesellschaft wahrnehmen. Denn das Ausschließen von Menschen schleicht sich immer mehr in unsere Gesellschaft ein.

KNA: Sie sind ja ein Bischof der dänischen Volkskirche. Wie politisch dürfen Sie sein?

Stubkjaer: Für mich hängen Politik und Religion immer zusammen. Denn Politik ist das, was im öffentlichen Raum geschieht. Und die Kirche darf sich niemals einschließen. Sie muss immer auf dem Weg in die Gesellschaft sein. Die Kirche spricht ja für Werte, die aus dem Evangelium kommen. Wenn jeder Mensch nach Gottes Bild geschaffen ist, ist auch jeder Mensch zu einem Leben in Würde geschaffen. Und wenn wir als Kirchen sehen, dass die Menschenwürde mit Füßen getreten wird, müssen wir dagegen aufstehen.

KNA: Welche Rolle spielt für Sie der Dialog mit der römisch-katholischen Kirche?

Stubkjaer: Ich hoffe, dass wir diesen Dialog wieder intensivieren können. Denn diese Welt braucht uns als Kirchen: Wir müssen daran arbeiten, einen Körper, einen Geist und eine Hoffnung zu haben.