Neue Statistiken zu Frauen in der klassischen Musik

Was wird es wohl eher geben, den Weltfrieden oder eine Frau am Dirigentenpult der Wiener Philharmoniker beim Neujahrskonzert?, fragten Nutzer von X. Eine neue Statistik informiert über Trends in der klassischen Musik.

Karl Nehammmer, Kanzler der Republik Österreich, jubelte auf der Plattform X (ehemals Twitter) auf Neujahr: „Es gibt keinen schöneren Start ins neue Jahr als das #Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.“ Andere Nutzer fragten hingegen: „Wann wird endlich eine Frau das Konzert dirigieren?“ Für das nächste Jahr ist der Italiener Ricardo Muti als Dirigent angekündigt. Er leitet dann zum siebten Mal das Konzert.

Ist das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker typisch für den klassischen Musikbetrieb, wenn ein überwiegend männliches Orchester ausschließlich Stücke von männlichen Komponisten unter der Leitung eines Dirigenten spielt? Anfang Januar veröffentlicht bachtrack.com, die laut eigenen Angaben größte Online-Suchmaschine für Veranstaltungen klassischer Musik, ihre Statistiken für das vergangene Jahr. Für 2023 hat bachtrack.com laut eigenen Angaben 31.309 verschiedene Veranstaltungen auf der Seite gelistet.

In diesem Jahr konnte die Plattform auch die Daten der vergangenen zehn Jahre auswerten. „Durch die Zusammenstellung einer so großen Stichprobe sind wir in der Lage, statistisch signifikante Schlüsse über die Welt der klassischen Musik und die Veränderungen, die sie durchläuft, zu ziehen“, sagt bachtrack.com. Die gute Nachricht: Es gibt Veränderungen, aber sie dauern.

Unter den 100 meistbeschäftigten Dirigenten befanden sich nach Erkenntnis von bachtrack.com 14 Frauen. Vor zehn Jahren waren es nur vier. Doch die meistbeschäftigte Dirigentin, Elim Chan, schaffte es nicht unter die Top 20, die von Andris Nelsons, Klaus Mäkelä und Paavo Järvi angeführt wird.

Nach Ansicht von bachtrack.com gibt es sehr viele erfahrene Dirigentinnen. Doch sie haben den Weg nach ganz oben noch nicht geschafft. Für das vergangene Jahr listete die Plattform 102 Orchester auf der ganzen Welt und konnte 95 Chefdirigenten ermitteln, davon waren lediglich sieben Frauen. Einige Spitzenpositionen bei bedeutenden Orchestern sind momentan unbesetzt.

Gibt es also eine sogenannte Gläserne Decke für Frauen am Dirigentenpult? Sie kommen weit, doch nicht bis ganz nach oben? Das scheint tatsächlich der Fall zu sein. Im September 2023 hat bachtrack.com eine Umfrage unter 14 weltweit führenden Musikkritikern durchgeführt. Sie sollten die zehn besten Orchester und Dirigenten auflisten. Die Ergebnisse decken sich mit dem, was auch die aktuelle Statistik der Plattform ausweist.

Die Berliner Philharmoniker wurden nach dieser Umfrage mit weitem Abstand zum besten Orchester gewählt, ihr Chefdirigent Kirill Petrenko zum besten Dirigenten. Aber, so Bachtrack.com, keine Dirigentin habe es geschafft, in die Top Ten zu kommen. Am nächsten dran wären noch Susanne Mälkki auf dem zwölften und Joana Mallwitz auf dem 14. Platz gewesen. „Die Welt der klassischen Musik entwickelt sich weiter, aber Veränderungen geschehen nicht über Nacht.“ Allerdings waren nur zwei Frauen unter den 14 Personen, die als führende Musikkritiker ausgewählt wurden.

Im Jahr 2023 waren 22 der 200 meistgespielten Komponisten Frauen. Das mag nach nicht besonders viel klingen, doch vor zehn Jahren waren es nur zwei. Unter den Top Ten der meist aufgeführten lebenden Komponisten befinden sich auf den Plätzen sieben bis zehn vier Frauen: Sofia Gubaidulina, Caroline Shaw, Unsuk Chin und Anna Clyne. Zur Info: Auf Platz eins wird der US-amerikanische Komponist und Dirigent John Williams, auf Platz zwei der aus Estland stammende Arvo Pärt geführt.

Der Grund, warum es vier Frauen in die Top Ten der meistgespielten lebenden Komponisten geschafft haben, wird mit Sicherheit darin liegen, dass mittlerweile viel mehr zeitgenössische Musik aufgeführt wird. Seit 2013 sei der Anteil an zeitgenössischer Musik bei der Gestaltung der Programme weltweit von sechs auf 14 Prozent gestiegen, so die Online-Plattform, in den USA sogar von sieben auf 20 Prozent. In der zeitgenössischen Musikszene scheinen Frauen als Komponistinnen eher ihre Anerkennung zu finden.

Eine Top Ten-Liste in der aktuellen Statistik von bachtrack.com weist übrigens Geschlechterparität auf: die der Violinsolisten. Eine gute Nachricht? Eher ein leichter Rückschritt, denn für 2022 wies bachtrack.com in der Liste der am meisten beschäftigten Violinisten sogar sechs Frauen aus mit Patricia Kopatchinskaja an der Spitze.

„In einigen Bereichen der klassischen Musik hat sich in den letzten zehn Jahren ein deutlicher Wandel vollzogen“, resümiert bachtrack.com, besondern im Hinblick auf die Zahl von Aufführungen lebender Komponisten. Allerdings: „Andere Aspekte des Sektors zeigen jedoch eine größere Trägheit.“