Neue Sänger braucht der Chor

Männer sind in Chören chronisch unterrepräsentiert. Zwei Chorleiter erzählen, welche Ursachen das hat und was man dagegen tun kann.

Die Jungen der Knabenkantorei St. Marien aus Lübeck in Aktion
Die Jungen der Knabenkantorei St. Marien aus Lübeck in AktionOlaf Malzahn / Knabenkantorei

Lübeck/Wedel. Es ist ein vertrautes Bild in den meisten Laienchören: Ein Meer aus Damengesichtern und hinten einige vereinzelte Herren, von denen manche noch extra für einen Auftritt zur Aushilfe hinzugekommen sind – oftmals bezahlte Profis. Doch woran liegt es eigentlich, dass Männer sich in Chören so rarmachen? Die Evangelische Zeitung hat bei zwei professionellen Chorleitern der Region nachgefragt: Karl Hänsel, Leiter der Lübecker Knabenkantorei St. Marien, und Daniel Cromm, Kantor in der Kirchengemeinde Wedel, haben über den Männermangel gesprochen und über Ursachen und Abhilfe nachgedacht.

Eine historische Deutung liefert Hänsel. Traditionell waren Männerchöre keineswegs selten. „Wo wenige sind, kommen auch wenige hin“, so Hänsel. Zwei Weltkriege hätten in Deutschland zeitweise zu einem Männermangel geführt. Dass das auch Sänger betrifft, versteht sich von selbst. Möglich wäre laut Hänsel, dass sich der Herrenbestand in den Chören aufgrund dieses Prinzips bis heute nicht erholen konnte.

Von wegen große Präsenz

Entscheidender ist laut Hänsel jedoch, dass die männliche Zurückhaltung beim Singen bereits im Kindesalter beginne. Zwar täuschten berühmte Knabenchöre eine große Präsenz vor, in der Breite seien diese aber eher eine Rarität. Auch in der Lübecker Gemeinde St. Marien, die auch einen Mädchenchor unterhält, müsse die Knabenseite mehr dafür tun, Nachwuchs zu bekommen. Über den Grund könne er mutmaßen. Teils stünden den Jungen gerade im klassischen Bereich männliche Stereotype im Weg. Sätze wie: „Ich bin doch ein Junge, ich singe nicht hoch“ seien das ein oder andere Mal gefallen. „Dann ist es gut, dass ich zeigen kann, dass ich ein Mann bin und hoch singen kann.“

Dann kommt der Stimmbruch

Einen weiteren Grund sieht Hänsel in der Stimmbruchkrise, mit der Jungen zu kämpfen haben. Wer eben gerade gelernt hatte, mit seiner Stimme kontrolliert umzugehen, der verliere gesanglich auf einmal den Boden unter den Füßen. „Im Knabenchor können die Älteren die Jüngeren durch diese Zeit hindurchziehen“, sagt Hänsel.

Wer allerdings diese Krise überwunden hat und so begeistert dabei ist, dass er sich auch von den Wirren der Pubertät nicht hat abbringen lassen, der sei am Ende seiner Knabenchorlaufbahn, meist mit dem Schulabschluss, spätestens etwa mit 25 Jahren, so gut ausgebildet, dass er sich künftige Chöre aussuchen könne und eher im semiprofessionellen Bereich unterwegs sei. Denn: „Jungen lernen besonders über die Herausforderung.“ Das erkläre, warum das Problem vor allem im Laien- und Freizeitbereich zu beobachten ist.

Jungen singen unter sich

Und noch eine Beobachtung hat Hänsel gemacht: Jungen singen gern unter sich. Bei der Nachwuchssuche in Schulen seien die Lehrer oftmals überrascht gewesen, dass die Jungen ohne die Mädchen mit einem Mal ihre Stimmen erklingen ließen. „Mädchen pubertieren früher als Jungen“, so Hänsel. „Dass sich Jungen untereinander wohler und weniger gehemmt fühlen, kann durchaus ein Faktor dafür sein, dass sie in der Singförderung weniger vertreten sind.“

Diese Beobachtung bestätigt auch Cromm. Er vermutet, der Leistungsgedanke sei bei Männern ausgeprägter. „Natürlich sind das Klischees, die ich hasse. Aber in vielen Klischees steckt eben doch ein wahrer Kern.“ Es sei nicht leicht, Männer dazu zu bringen, sich auszuprobieren und dabei naturgemäß auch einmal zu scheitern. Eine Erfahrung, die er selbst im Musikstudium gemacht habe. Cromm: „Für mich war der Wendepunkt, als ich verstanden habe, dass die Stimme ein formbares und kontrollierbares Instrument ist und dass es nichts Persönliches ist, wenn hier einmal etwas misslingt.“

Weil er die Problematik des Männermangels seit Beginn seiner eigenen Gesangstätigkeit seit über 20 Jahren kennt und auch jetzt im Wedeler Kirchenchor nur drei Männer und 25 Frauen vertreten sind, hat er sein Gesuch nach Herren maximal breit gestreut: „Mein Ziel ist es, allen und vor allem den Männern das Gefühl zu geben, dass sie auch ohne Erfahrung etwas bei uns erreichen können.“ Er möchte vermitteln: „Komm vorbei, egal wo du stehst, wir finden einen Weg, wie du partizipieren kannst.“

Info
Kontakt zur Kantorei Wedel: Telefon 04103/2143, cromm@kirchengemeindewedel.de.
Kontakt zur Knabenkantorei: Telefon 0451/ 760 80, kontakt@knabenkantorei.de