Neue Präsidentin in Mexiko: Iztapalapa als Vorbild

Wer aus der Seilbahn-Kabine auf Iztapalapa schaut, blickt auf ein Meer von Häusern, deren Dächer und Wände große bunte Gemälde zieren. Der Bezirk mit seinen knapp zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ist eine der ärmsten und gefährlichsten Gegenden von Mexiko-Stadt – und zugleich die Hochburg von Morena, jener Partei, die auch in den kommenden sechs Jahren die Geschicke des Landes lenken wird.

Dabei wird mit Claudia Sheinbaum am 1. Oktober erstmals eine Frau als Präsidentin Mexikos ins Amt eingeführt. Einen Namen hat sich die Morena-Politikerin als Regierungschefin der Hauptstadt gemacht, unter anderem mit Projekten in Iztapalapa.

Gemeinsam mit der Bürgermeisterin des Bezirks, Clara Brugada, hat sie dafür gesorgt, dass die Kriminalität etwas abnahm. Mehr Polizeistreifen und beleuchtete Straßen sorgen heute dafür, dass sich Frauen nachts sicherer bewegen können. Dasselbe Ziel verfolgt die neue Seilbahn, die bisher abgehängte Gegenden mit der Innenstadt verbindet. Tausende großflächige Wandbilder einheimischer Künstler sollen zudem das Wohnumfeld kulturell besetzen und damit Sicherheit schaffen.

Nun wird Sheinbaum beweisen müssen, dass sie auch über ihr bisheriges Terrain hinaus erfolgreich agieren kann. Brugada steht ebenfalls vor neuen Herausforderungen, denn sie folgt als neue Regierungschefin von Mexiko-Stadt auf Sheinbaum.

Ihren Wahlsieg im Juni mit fast 60 Prozent der Stimmen verdankt die 62-jährige Sheinbaum der Beliebtheit ihres Vorgängers und Parteifreunds Andrés Manuel López Obrador, kurz Amlo. Der Morena-Gründer konnte mit seinem populistischen Diskurs, in dem er sich als Kämpfer des einfachen Volkes gegen die reiche Elite stilisierte, viele Menschen auf seine Seite ziehen. Zudem schuf er Sozialprogramme, etwa eine Grundrente für Ältere und Hilfsgelder für alleinerziehende Mütter. Der Mindestlohn stieg auf umgerechnet etwa 11,50 Euro.

Doch die eher zurückhaltende Sheinbaum hat nicht die Redegewandtheit López Obradors. Und ob sie die Sozialleistungen aufrechterhalten kann, ist nicht ausgemacht. Es habe Fortschritte im Kampf gegen Armut und Ungleichheit gegeben, sagt der Wirtschaftsprofessor Gerardo Esquivel von der Universität Colegio de México. Allerdings mahnt er zugleich eine stärkere Besteuerung von Reichtum an. Amlo hatte sich diesem Schritt immer verweigert, und auch Sheinbaum will nicht mit höheren Steuern auf Konfrontation mit Unternehmern und Wohlhabenden gehen.

Zugleich kündigte sie schon vor ihrer Amtsübernahme Hilfsgelder für ältere Frauen und weitere Sozialprogramme an. Als Vorbild für eine Sozialpolitik können die Vorhaben in Iztapalapa herhalten. In zwölf großen Stadtteilzentren, den „Utopías“, stellt die Regierung der Bevölkerung in dem Bezirk kostenlos ein umfangreiches Angebot zur Verfügung: Sportplätze, Schwimmbäder, Musikunterricht und Skate-Parks ebenso wie Beratungsstellen für von Gewalt betroffene Frauen und Hilfe für Drogenabhängige.

Doch die Ausweitung einer solchen Politik auf das ganze Land könnte am Geld scheitern. Denn die künftige Staatschefin steht vor großen finanziellen Herausforderungen. Amlo hat mehrere Großprojekte ins Leben gerufen, deren Kosten viel höher ausfallen als geplant. Etwa den „Tren Maya“, einen „Maya-Zug“, mit dem Touristen über die Halbinsel Yucatán reisen können. Auch López Obradors auf Erdöl und Gas fokussierte Energiepolitik könnte teuer werden: Um die Klimaziele zu erreichen, wird die Physikerin Sheinbaum in erneuerbare Alternativen investieren müssen. Zudem wird sie sich schweren Vorwürfen der Opposition stellen müssen: Vor seinem Abgang peitschte Amlo noch eine umstrittene Justizreform durch, von der Kritiker befürchten, dass sie die Gewaltenteilung aufhebt.

Blickt man auf das gesamte Land, fällt auch das Resümee der Sicherheitspolitik anders aus als im Vorzeigeviertel Iztapalapa. Jeden Tag werden in dem mittelamerikanischen Land fast hundert Menschen getötet, viele Gegenden werden von Mafia kontrolliert. Allein in der Amtszeit von Amlo wurden etwa 50.000 Personen verschleppt – so viele wie nie zuvor. Weder die Schaffung einer Nationalgarde noch die Machtausweitung des Militärs brachten den versprochenen Wandel. Auch hier wird Sheinbaum neue Wege gehen müssen. Iztapalapa könnte eine Orientierung sein.