Seit langer Zeit nutzen Menschen Zeitungen, um etwas zu verkaufen, einen Job zu finden oder eine Geburt anzuzeigen. Im Deutschen Zeitungsportal lässt sich dies nachlesen – neben großer Politik aus vier Jahrhunderten.
Von der Couch aus Kontakt in die Vergangenheit aufnehmen – und zum Beispiel mit einem Klick herausfinden, dass die eigene Urgroßtante an einem Dezembertag im Jahr 1928 in Köln ihre Vermählung gefeiert hat. Nachlesen, dass eine Leipziger Buchhandlung “zur Weihnacht 1798 ein ABC Buch als Geschenk für Kinder der Bürger und Landleute” empfiehlt. Oder dem Untergang der Titanic im April 1912 aus der Perspektive der Zeitgenossen nachspüren.
Zeitungen – so rar sie seit der Erfindung des Internets werden – waren jahrhundertelang das Medium schlechthin, das die Menschen über politisches und gesellschaftliches Leben informierte. Seit nunmehr vier Jahren lässt sich das alles kostenlos von zu Hause nachlesen: Das Deutsche Zeitungsportal (www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper) versammelt aktuell 2.520 digitalisierte Zeitungen von 1660 bis 1994 – das ist eine mögliche Lektüre von 27 Millionen Seiten.
Mit beliebigen Stichwörtern – sei es “Sex Appeal”, “Weihnachten” oder auch den Namen der eigenen Ahnen – kann in Zeitungen, einzelnen Ausgaben oder Seiten gesucht werden. Die Suchergebnisse lassen sich nach Erscheinungszeitraum oder Ort, Sprache oder Bibliothek filtern.
“Wir digitalisieren nicht selbst, sondern bekommen die Daten von Bibliotheken und Archiven”, erklärt die Projektleiterin des Portals, Lisa Landes. Besonders viele Zeitungen gibt es demnach bisher aus Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hamburg und Sachsen. Zeitungen aus Hessen und Schleswig-Holstein sind dagegen bisher fast überhaupt noch nicht verzeichnet. Langfristig soll das Portal aber alle digitalisierten historischen Zeitungen zugänglich machen, die in deutschen Kultur- und Wissenseinrichtungen aufbewahrt werden. Träger ist die Deutsche Digitale Bibliothek.
Einen Schwerpunkt bilden die Jahre zwischen 1870 und 1945. “Für die NS-Zeit haben wir einen Disclaimer vorgeschaltet, um die Leser für die Inhalte zu sensibilisieren und um klar zu machen, dass wir uns von rassistischen und antisemitischen Inhalten distanzieren”, sagt Landes.
Besonders berührend: die zahlreichen Exilzeitungen emigrierter Jüdinnen und Juden aus dem Bestand des Deutschen Exilarchivs der Deutschen Nationalbibliothek, die das Portal verzeichnet. So findet sich etwa der “Shanghai Jewish chronicle”, eine deutschsprachige Zeitung von in der NS-Zeit nach Ostasien geflohenen Juden, die zwischen 1939 und 1945 erschien. Oder der “Aufbau”, eine New Yorker Zeitung deutsch-jüdischer Emigranten.
Noch Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs erscheinen hier seitenweise verzweifelte Gesuche nach deportierten Angehörigen – so schreibt etwa am 26. Oktober 1945 ein Fred Gans aus den USA: “Wer kann Auskunft geben über die Massendeportationen am 28. Feb. 1943 von Berlin. Unter diesen befanden sich meine Eltern Max und Else Gans geb. Joachim, letzte Adr.: Berlin N.W. 87, Jagowstrasse 7. Für jede Auskunft dankbar. Alle Unkosten werden vergütet.”
20.000 Nutzerinnen und Nutzer, darunter Wissenschaftler, Genealogen und Privatleute, gibt es bisher monatlich. “Sie verweilen durchschnittlich rund 15 Minuten auf der Seite. Das ist für das Netz ein recht hoher Wert und zeigt, dass sich die Leser intensiv damit beschäftigen”, sagt Landes. Man bleibe schnell mal hängen. “Eigentlich begegnet einem ständig etwas.”
Auch sie selbst lese sich so manches Mal fest, erzählt die Geisteswissenschaftlerin. Zum Beispiel fiel ihr in einer Zeitung von 1917 auf, dass plötzlich in den Anzeigengesuchen – für Anfang des 20. Jahrhunderts völlig untypisch – explizit und sehr häufig die weibliche Berufsform benutzt wurde. “Es wurden zum Beispiel Maschinenführerinnen gesucht. Das lag natürlich daran, dass die Männer größtenteils im Krieg waren – es war zu dieser Zeit ja Erster Weltkrieg.”
Auch große Unglücke sind in den Zeitungen festgehalten – wie der Zeppelin, der in New Jersey im Jahr 1937 in Flammen aufging und über den damals nahezu jede Zeitung schrieb. Oder der Untergang der Titanic im April 1912, der analysiert und kommentiert wird. Am 17.4.1912 findet etwa die “Westdeutsche Landeszeitung” folgende emotionale Worte: “1500 Menschen in den Fluten des Meeres versunken! Die Bevölkerung eines ganzen Städtchens. Lebendige Menschen mit allem Glück und Leid der Menschennatur, allem Streben, Hoffnungen und Ängsten, allen Kräften und allen Schwachheiten”.
Abseits vom politischen Geschehen geben die Zeitungen Einblick in den Alltag der Menschen – das Gegenteil von trockener Geschichte, findet Landes. “Bessere junge Witwe mit einem Kind, tüchtig im Kochen, sucht Stellung als Haushälterin”, heißt es etwa 1902 im “Hamburger Fremdenblatt”. In einer Stuttgarter Zeitung bietet ein Friseur am 15. August 1903 “Scheitel und Toupets auf feinste gefertigt” an.
Auch das gesellschaftliche Denken, wie etwa das Frauenbild der jeweiligen Zeit, wird genau widergespiegelt – nachzulesen zum Beispiel in einem Artikel, der unter der Überschrift “Sex Appeal” am 28. Mai 1930 als Beilage “Welt der Frau” in den “Westfälischen Nachrichten” erschien. Er gibt den Leserinnen von damals Folgendes mit auf den Weg: “So manche Ehe zerbricht daran oder wird langweilig, weil die Frau es nicht versteht, wie die schöne Scheherazade zu handeln: an jedem Tag ein neues Märchen zu erzählen! Das heißt: den Mann auf eine immer neue Art – sprich: durch Sex Appeal!- zu fesseln und für seine eigene Frau zu begeistern!”