Muslimische Drag-Queen: Allah liebt jeden!

Jakob Celebi ist mutig. Als muslimische Drag-Queen erntet er viel Hass. Er wird beschimpft und bespuckt. Trotzdem zeigt er auf Instagram und TikTok, dass jeder sein darf, wie er will.

Jakob Celebi ist bekannt unter seinem Künstlernamen "kurdische kween"
Jakob Celebi ist bekannt unter seinem Künstlernamen "kurdische kween"privat

Mit Overknee-Stiefeln aus Lack, pinkem Minikleid und goldener Krone auf dem Kopf stöckelt Jakob Celebi aka „kurdische kween“ über den Bürgersteig. In den Händen trägt er stolz eine kurdische Fahne. Die Reaktionen der Menschen? Unterschiedlich. Einige Passantinnen und Passanten lachen, heben den Daumen, zücken ihr Smartphone. Andere, meist junge muslimische Männer, sind außer sich. Rennen ihm nach, beschimpfen ihn.

Jakob Celebi provoziert bewusst, wie er erzählt. Auf seinem Instagram-Kanal folgen ihm mehr als 33.000 Leute, auf TikTok sind es sogar mehr als 100.000. Seine Fans erwarten regelmäßige, kurze Videos, in denen Jakob die Menschen auf der Straße mit ihren Vorurteilen konfrontiert. Und die gibt es gleich mehrfach. Denn Jakob ist Moslem, schwul und eine Drag. Das heißt, er schminkt sich, trägt eine schwarze, langhaarige Perücke und Frauenkleidung. Ein Bild, das für viele so gar nicht zusammenpassen will.

Aufklärungsarbeit in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee

Eine muslimische Drag sei für viele konservativ Geprägte quasi der „Endgegner“, sagt Jakob. Schließlich seien Drags in ihren Augen ein westliches Konzept. „Dabei steht nirgendwo im Koran, dass ich mich als Mann nicht schminken darf“, so Jakob. Er ist überzeugt: „Allah liebt jeden!“

Nicht nur auf seinen Social-Media-Accounts leistet Jakob seit vielen Jahren Aufklärungsarbeit. Mit einer halben Stelle ist der Berliner bei der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee angestellt. Die muss wegen Terrordrohung für mindestens ein Jahr schließen. Das war auch für Jakob ein Schock, wie er erzählt.

Streng-muslimisches Elternhaus: „Wenn das dein Vater sieht, schlägt er dich“

Jakob wurde als Mann geboren. Früh hat er gemerkt, dass er anders ist. „Seitdem ich denken kann, denke ich schwul“, sagt der 26-jähriger Berliner. Also lackiert er sich im Kindergarten die Nägel. Keine große Sache, denkt er damals. Bis er nach Hause kommt. Und seine konservativ-muslimische Familie auf den Kleinen wartet. Besonders seine Mutter kann ihre Augen kaum trauen, erinnert sich der gebürtige Bochumer. „Wenn das dein Vater sieht, schlägt er dich“, macht sie ihm Angst.

 

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Jakob wächst mit fünf Geschwistern auf. Immer wieder wird ihm eingeredet: Sei ein „richtiger“ Junge. Du musst eine Frau heiraten. Blamier uns nicht. Das habe ihn sein Vater gepredigt. „Wenn du schwul bist, bringe ich mich um“, kam einmal von seiner Mutter. „Ich habe mich meine ganze Jugend verstellt. Ich habe versucht, jedem Stereotyp eines Mannes zu entsprechen“, sagt Jakob. Ein Leben wie in einem Gefängnis, wenn er heute an die Zeit zurückdenkt.

Ein Foto vom Christopher Street Day verrät Jakob

Die Serie „RuPaul’s Drag Race“ habe alles verändert, erzählt Jakob. In der US-amerikanischen Reality-Show, treten Dragqueens gegeneinander an. Plötzlich merkt Jakob: Ich bin gar nicht so anders. Es gibt viele da draußen, die so sind wie ich. Das Selbstbewusstsein der Teilnehmer habe ihn fasziniert.

Als erstes habe er mit seinem besten Freund über seine Homosexualität gesprochen. Nach und nach lernte er Freunde aus der Drag-Szene kennen. „Das war meine Familie“, betont Jakob. Jahrelang hat er ein Doppelleben geführt, dachte, es kommt nie raus.

Jakob Celebi (Mitte) und seine neue Familie: Mit seinen Drag-Freunden fühlt sich der Berliner endlich frei
Jakob Celebi (Mitte) und seine neue Familie: Mit seinen Drag-Freunden fühlt sich der Berliner endlich freiprivat

Bis er eines Tages auf den Christopher Street Day in Düsseldorf ging. 2019 war das. „Ein Nachbar hat mich gesehen und ein Foto an meine ganze Familie geschickt“, erzählt Jakob. Eine traumatische Zeit beginnt. Immer wieder sucht er das Gespräch mit seiner Familie. Immer wieder wird er von ihnen als „Egoist“ bezeichnet. Dass er Schande über die Familie bringe.

Kontakt zur Familie abgebrochen

„Aber ich habe gemerkt, das Einzige, was mir Glück gebracht hat, war, ich selbst zu sein“, sagt Jakob. Und so zieht er von zu Hause aus, bleibt aber in Bochum. Erst einmal. Später zieht Jakob nach Berlin. Erst jetzt fühlt er sich wirklich frei, wie er erzählt.

Der Kontakt zur Familie: abgebrochen. Bis heute. Nur mit seiner Mutter hat Jakob noch Kontakt. Über seine Sexualität, sein Leben als Drag-Queen sprechen die beiden nicht, wenn sie sich sehen. Jeder weiß, wie das ausgehen würde. „Das ist hart“, sagt Jakob. Sei er doch ein großer Familienmensch.

Jugendliche werfen mit Steinen nach Jakob

Jakob hat sich für ein selbstbestimmtes, aber auch gefährliches Leben entschieden. Das ist ihm bewusst. Denn bei seinen Aktionen bleibt es nicht immer bei vernichtenden Blicken und hässlichen Kommentaren. Anders wird ihm etwa, wenn sich Menschengruppen bilden. Wie einmal in Berlin-Kreuzberg. „Das sind uns mehrere Jugendliche hinterhergerannt und haben uns mit Steinen beschmissen“. „Wir“, denn alleine, so berichtet Jakob, sei er nie unterwegs. Zu heikel. „Wir haben damals natürlich die Polizei angerufen und Strafanzeige gestellt“. „Schon alleine für die Statistik“, ergänzt der Drag-Künstler.

Und so macht Jakob weiter. Trotz allem. „Ich will die Menschen sensibilisieren“, erklärt er. Und an alle Queeren soll die Botschaft sein: Versteckt euch nicht, Geht raus, seid selbstbewusst, sucht euch queere Freunde. Ihr seid nicht allein.

Kirchen müssen sichere Räume für queere Menschen sein

Dafür brauche es aber auch die gesamte Gesellschaft, betont Jakob. Schon an Schulen müsse darüber aufgeklärt werden, was Queer-Sein bedeutet, dass das nichts Schlechtes oder Falsches ist. Auch entsprechende Angebote müssten kommuniziert werden. Dass es zum Beispiel queere Wohngruppen gibt. „Bei mir haben die Lehrer damals weggeschaut“, erinnert sich Jakob.

Jakob Celebi liebt es, sich zu schminken und zu verkleiden. Seine Familie meidet ihn deswegen
Jakob Celebi liebt es, sich zu schminken und zu verkleiden. Seine Familie meidet ihn deswegenprivat

Religiöse Gemeinschaften und Kirchen müssten mehr Unterstützung erfahren, sichere Räume für marginalisierte Menschengruppe bieten und Zeichen setzen. „In Köln habe ich mal eine Kirche gesehen, bei der eine Progress-Pride-Flagge gehisst war. Und ich dachte so: Wow! Wie schön ist das denn!“

Tipps an queere Muslime: Holt euch Hilfe!

Die Politik sieht Jakob besonders in der Verantwortung: Rechte Parteien würden Vorurteile gegen queere Menschen regelrecht befeuern. Da müssten demokratische Kräfte gegenhalten. Und auch die Zivilgesellschaft sei gefragt: Wenn jemand Queer-Feindlichkeit sieht, sollte er oder sie einschreiten, findet Jakob. Auch wenn er weiß, dass das riskant sein kann.

Wenn Jakob so erzählt, wirkt er stark, selbstbewusst, mutig. Das war aber ein langer Weg, wie Jakob sagt. Er war auch in Therapie. Einen Ratschlag, den er andere queere Muslime weitergeben möchte: Holt euch Hilfe. Das geht auch weiterhin bei der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, wie Jakob erzählt. Seine Kollegen und er überlegen gerade, wie die Arbeit weitergehen kann. Die Drag-Workshops an Schulen etwa liefen nach wie vor. Nach der Schließung hätte sein Team viel Zuspruch und Liebe erfahren, freut sich der junge Mann: „Wir bleiben standhaft gegen den Hass!“