Mitarbeiterin: Kirche hat mich krank gemacht
Kirche bietet Seelsorge in allen Lebenslagen. Was aber ist, wenn die eigenen Mitarbeitenden Hilfe brauchen, weil es ihnen emotional schlecht geht? Eine Mitarbeiterin wirft Kirche Versagen vor.
Susanne (Name von der Redaktion geändert) will anonym bleiben. Zu groß die Angst, ihren Job zu verlieren. Die Anfang 30-Jährige arbeitet seit vielen Jahren für die Kirche. Erst ging es in die Gemeinde, ihr Herzensprojekt war die Arbeit mit Jugendlichen, später kamen Dozententätigkeiten dazu, inzwischen arbeitet sie bei der westfälischen Kirche.
Doch seit Juni diesen Jahres ist die junge Frau krankgeschrieben. Sie hatte einen mentalen Zusammenbruch. Der Auslöser war neben dem Erstellen eines Schutzkonzepts und Risikoanalyse für verschiedene Arbeitsbereiche eine verpflichtende Fortbildung für alle Mitarbeitenden im Umgang mit sexualisierter Gewalt, wie Susanne erzählt. Eigentlich eine gute Sache, wenn Kirche sich nach der Forum-Studie der Aufarbeitung und Prävention widmet. Eigentlich. Aber was ist, wenn Mitarbeitenden selbst Betroffene sind und sie derartige Schulungen triggern? So war es bei Susanne. Sie hat selbst sexualisierte Gewalt erfahren.
Missbrauchs-Schulung reißt alte Wunden auf
Sie habe das Gespräch mit einem zuständigen Kollegen gesucht, ihm von ihrer posttraumatischen Belastungsstörung erzählt. Das habe sie viel Überwindung gekostet, erzählt sie. “Dann meld’ dich doch krank” habe es daraufhin geheißen. Auch der Satz “Wenn man das nicht aushalten kann, hat man das eigene Trauma noch nicht überwinden” sei gefallen.
Also reißt Susanne sich zusammen und nimmt an dem vierstündigen Seminar teil. Mit Bauchschmerzen. Aber sie will ihren Job behalten, der ihr eigentlich Spaß macht. Doch die Schulung reißt alte Wunden auf. “Es war auch einfach keine gute Schulung”, meint Susanne. Es sei weniger darum gegangen, Missbrauch im dienstlichen und privaten Umfeld zu erkennen, stattdessen wurde in einer Präsentation gezeigt, wie Täter sexualisierter Gewalt vorgehen. Zu viel für Susanne.
Was folgt sind Albträume, ihre Ohnmachtsattacken werden wieder häufiger. Also habe sie ihr Arzt im Sommer aus dem Verkehr gezogen. Nur die engsten Kolleginnen und Kollegen fragen nach, wie es ihr geht. Anteilnahme von der Kirche? Laut Susanne: Fehlanzeige. Seit Juli macht Susanne eine Trauma-Therapie. Ein bis zweimal die Woche, mehrere Stunden. Fast zwei Jahre habe sie auf den Platz warten müssen, erzählt sie.
Reaktion der Kirche: Schulungsverpflichtung ist ein wichtiges Zeichen
Von einem Sprecher der westfälischen Kirche heißt es, die Schulungsverpflichtung sei ein wichtiges Statement. “Bei uns sollen perspektivisch alle über das Thema sexualisierte Gewalt informiert sein, sprachfähig und handlungskompetent werden”. Es gebe zudem viele Betroffene, die die Schulung als gut empfinden.
Im Einzelfall könne man darüber nachdenken, die Schulung zu einem späteren Zeitpunkt zu besuchen. Auch könnten im Vorfeld der Schulungen Gespräche über die Schulungsinhalte geführt werden. Doch der Kirchen-Sprecher stellt klar: “Wer massive Angst vor einer Retraumatisierung hat, kann womöglich vorübergehend in bestimmten Bereichen nicht arbeiten.”
Außerdem sei es schwer nachzuvollziehen, welche betroffenen Personen ausgenommen werden sollen. Wie zum Beispiel lasse sich prüfen, ob eine Person keine Lust auf die Schulung hätte? Und gelte die Ausnahme nur für direkt Betroffene oder auch etwa für Angehörige? Und: Welche “Art der Tat” würde für ein Fernbleiben der Schulung gelten?
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Pfarrerinnen und Pfarrer erleben Burnout
Es ist nicht das erste Mal, dass Susanne seelisch am Boden ist. Und es ist nicht das erste Mal, dass sie von Kirche als Arbeitgeberin schwer enttäuscht ist. Bereits vor einigen Jahren musste sie wegen ihres Traumas in eine Tagesklinik. Nach dieser Zeit habe ihr rechtlich eigentlich ein sogenanntes “Wiedereingliederungsgespräch” zugestanden. Dazu kam es nie, wie Susanne berichtet.
“Die Erwartungshaltung an die Mitarbeitenden ist in der Kirche extrem hoch”, hat Susanne über die Jahre beobachtet. “Weil viele Pfarrerinnen und Pfarrer Tag und Nacht erreichbar sind, erwartet man das auch von anderen Mitarbeitenden”, sagt Susanne und ergänzt: “Ich kenne genug Pfarrerinnen und Pfarrer, die teilweise schon nach Monaten das Handtuch geschmissen haben, weil alles zu viel wurde“.
“Ich bin richtig sauer auf Kirche, weil sie hier so schlecht aufgestellt ist”, sagt Susanne und spricht von “krankmachenden Strukturen”. Kirche und Diakonie seien zwar für andere Menschen da, wenn es aber um die eigenen Mitarbeitenden geht, sei von Fürsorge und Verantwortung nicht viel zu spüren.
Kirche braucht mehr Supervision für Mitarbeitende
Dabei gibt es gute Beispiele, wie Susanne erzählt. In den Bistümern Münster und Paderborn etwa könnten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im pastoralen Feld zur Unterstützung ihrer Arbeit Supervision erhalten. Das müsste es auch in evangelischen Kirchenkreisen deutlich mehr geben.
Für andere Menschen mit psychischen Erkrankungen wünscht sich Susanne insgesamt mehr Unterstützung. Das Thema dürfe kein Tabu mehr sein. Betroffene sollten nicht ständig das Gefühl haben, sich “outen” zu müssen. Eine Möglichkeit seien etwa entsprechende Arbeitszeitmodelle. Dass betroffene Mitarbeitenden etwa am Tag in drei Blöcken arbeiten würden, mit langen Pausen.
Trotz aller Kritik: Susanne möchte zurück in ihren Job. Eigentlich mag die junge Frau es, für die Kirche zu arbeiten. Aber je nachdem komme eines Tages für sie auch eine andere Berufssparte in Frage. In der Hoffnung, dass dort mehr auf mentale Gesundheit geachtet werde.
Mentale Gesundheit: Evangelische Kirche in Deutschland bietet Angebote
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) versichert auf Anfrage, dass die seelische Gesundheit der Mitarbeitenden selbstverständlich eine Rolle spiele. “Wir bieten auf Antrag individuelle Hilfen in besonderen Situationen wie Fachberatung und Coaching an.” Man könne sich auch anonym melden. Es gebe außerdem Schulungen und Weiterbildungen etwa zu Resilienz sowie wiederkehrende Angebote zur Entspannung.
Auch die westfälische Kirche berichtet von entsprechenden Angeboten. Im Oktober dieses Jahres habe es erstmals eine Mental Health Woche gegeben.