Mit Jesus auf dem Christopher Street Day

Die Kirchen erproben vielerorts neue Formate. In Hamburg startet eine Gruppe junger Pastoren regelmäßig Aktionen an ungewöhnlichen Orten.  Für die Macher ist die „Pop-up Church“ ein Erfolgsmodell.

Auch beim Christopher Street Day 2019 mischte die "Pop-up Church" mit
Auch beim Christopher Street Day 2019 mischte die "Pop-up Church" mitKristina Larek

Hamburg. Ein ganz normaler Abend in Hamburg. Vor dem Hauptbahnhof herrscht geschäftiges Treiben. In der Dunkelheit stehen einige Frauen in schwarzen Gewändern. „Jede 4. Frau“ oder „Du siehst mich?!“ ist in großen Lettern auf weiße Plakate geschrieben, die sie um den Hals tragen. Manche Passanten schauen die ungewöhnlichen Gestalten verdutzt an, einige bleiben stehen.

Wer genauer hinsieht, erkennt, dass die Frauen Pastoren-Talare mit den typischen weißen Beffchen am Kragen tragen. Ein Banner verrät, dass es sich bei der Aktion um eine kirchliche Initiative handelt. Die „Po-up Church“ ist ein Projekt, mit dem die Nordkirche neue Wege gehen und Menschen außerhalb der klassischen Gemeinden erreichen will. „Wir tauchen irgendwo auf und machen irgendetwas Unerwartetes“, erklärt Leiterin Emilia Handke (33) vom Werk „Kirche im Dialog“. Ziel sei es, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

Wie die Idee entstand

Diesmal steht das Thema „Gewalt an Frauen“ im Mittelpunkt. Anlass ist der entsprechende internationale Gedenktag. Die Pastorinnen fragen Passanten, ob sie von Gewalt betroffene Frauen kennen. Viele bejahen das und schreiben die Namen der Opfer mit einem Filzstift auf die Plakate. Manche erzählen von ihren Erfahrungen oder bitten die Kirchenfrauen, für sie zu beten.

Aus gegebenem Anlass sind heute nur die Mitarbeiterinnen im Einsatz. Insgesamt engagiert sich ein Team von 15 ausgelernten und angehenden Pastorinnen und Pastoren zwischen 27 und 45 Jahren in der „Pop-up Church“. Die Idee entstand in einem Ausbildungskurs. Die heutigen Gründungsmitglieder überlegten, wie sie Kirche in der Öffentlichkeit sichtbarer machen könnten.

Auf das Thema "Gewalt an Frauen" machte die "Pop Up Church" vor dem Hamburger Hauptbahnhof aufmerksam
Auf das Thema "Gewalt an Frauen" machte die "Pop Up Church" vor dem Hamburger Hauptbahnhof aufmerksamMarieke Lohse

2017 starteten sie mit einer „lebendigen Jukebox“ auf dem Hamburger Weihnachtsmarkt. Die jungen Kirchenleute platzierten sich in einer lebensgroßen Krippe. Über Buzzer konnten Passanten jeweils einen von ihnen „aktivieren“, der dann die Weihnachtsgeschichte in einer jeweils eigenen Version vortrug: klassisch, in Reimform, als Krimi oder angereichert mit Zaubertricks.

In der Karwoche ging die „Pop-up Church“ auf den Hamburger Dom mit Fragen wie „Hast Du schon mal über den Tod gelacht?“. In der Innenstadt tauchte sie einmal unter dem Motto „Wofür sollen wir beten?“ auf. Und auf der Parade am Christopher Street Day erschien das Team mit einer drei Meter hohen Jesus-Statue und verteilte unter den Teilnehmern „free blessings“ – also Gratis-Segnungen. „Ganz viele Leute sind auf uns zugestürmt und wollten ein Selfie vor Jesus machen. Die Bilder wurden hundertfach in den sozialen Netzwerken geteilt“, sagt Handke.

Social Media gehört zum Konzept

Die Verbreitung der Aktionen in den digitalen Medien gehört zum Konzept. Die Gruppe pflegt eigene Kanäle auf Instagram und Facebook. Bewusst tragen die Pastoren bei jeder Aktion ihre schwarzen Talare: „Wir setzen zum einen auf die Irritation; zum anderen verleiht unsere Berufskleidung der Sache einen gewissen Ernst.“

Für Handke ist die „Pop-up Church“ zwei Jahre nach ihrem Start ein Erfolgsprojekt. Zwar könne sie das klassische Gemeindeleben nicht ersetzen. „Aber wir müssen uns neue Arten der Öffentlichkeitsarbeit ausdenken.“

Tüfteln an der nächsten Aktion

Angesichts sinkender Mitgliederzahlen erproben die Kirchen vielerorts neue, niedrigschwellige Formate. Auch in Hildesheim gibt es eine „Pop-up-Kirche“ des evangelischen Kirchenkreises, die in leerstehenden Läden Vorträge und Gesprächskreise anbietet. Die Mitarbeiter des katholischen Cityklosters in Bielefeld sind in den Sommermonaten mit einer „rollenden Kirchenbank“ in der Fußgängerzone unterwegs. Und viele Kirchengemeinden feiern bisweilen Gottesdienste an ungewöhnlichen Orten, etwa in Schwimmbädern oder Restaurants.

Die Mitglieder der Hamburger „Pop-up Church“ tüfteln bereits am Plan für ihre nächste Aktion. Wichtig sei ihnen vor allem, die Bedeutung christlicher Feste wie Weihnachten, Ostern oder Christi Himmelfahrt für ein breites Publikum zu übersetzen, sagt Handke. Auch einen Einsatz auf der Hamburger Reeperbahn unter dem Motto „Liebe“ könne sie sich vorstellen. Wo die kreativen Kirchenleute tatsächlich das nächste Mal „aufploppen“, bleibt eine Überraschung. (KNA)