Mit der Kettensäge gegen die Ärmsten

Vor kurzem bat Argentiniens Präsident Javier Milei seine Landsleute um Geduld und Vertrauen – trotz einer Inflationsrate auf Rekordhöhe, die immer mehr Menschen in die Armut stürzt. 27 von 46 Millionen Argentiniern können sich nicht mehr das Nötigste zum Leben leisten. Dennoch hat Milei nach 100 Tagen im Amt laut Umfragen noch rund die Hälfte der Bevölkerung hinter sich.

Seit dem 10. Dezember ist der Ultraliberale im Amt. Auf Auslandsreisen sorgt er mit Schimpfkanonaden gegen Linke, Linksliberale, Umweltschützer und Feministinnen für Furore. Auch im Land selbst bleibt er bei seinem Konfrontationskurs gegen alle, die sich seiner Politik widersetzen.

Er werde als „ehrlich, aber gefühllos“ gesehen, schrieb die Zeitung „Perfil“. Die Kettensäge, die er im Wahlkampf umher schwenkte, ist sein Lieblingssymbol geblieben. Den öffentlichen Sektor will er zusammenstreichen, gegen die Interessen der „Politikerkaste“. Armut und Elend führt er auf seine Vorgänger zurück: „Der Populismus hat uns 90 Prozent unserer Einkünfte weggenommen“, behauptet er. Der allgegenwärtige Staat sei eine korrupte, „kriminelle Organisation“. „Wir haben angefangen, das Schlangenei zu zerstören: das Haushaltsdefizit.“

Tatsächlich konnte die Regierung im Januar einen Haushaltsüberschuss erzielen, indem sie Zahlungen an die Provinzen und staatliche Einrichtungen zurückhielt, Gehälter und Renten kürzte, Sozialpläne gnadenlos stutzte. Auch Subventionen für Wasser, Strom, Gas und öffentliche Verkehrsmittel fallen weg. Basisorganisationen bekommen kein Geld mehr für Suppenküchen, die bislang Millionen Arme über Wasser hielten.

Der katholische Bischof Juan Chaparro beklagt in einem offenen Brief „politische, soziale und wirtschaftliche Entmenschlichung“ ohne demokratischen Konsens: „Einige wenige Privilegierte bereichern sich weiterhin, während der Staat seine Anwesenheit nur durch Repression zeigt.“

Die Gouverneure, mit denen Milei seit Wochen um die Verteilung der Steuern streitet, sollen nun am 25. Mai, dem Unabhängigkeitstag, einen neoliberalen „Sozialvertrag“ unterschreiben. Das Parlament, das Milei als Rattennest bezeichnet hat und wo er über keine eigene Mehrheit verfügt, konnte er bislang nicht überzeugen: Ein ambitioniertes Gesetzespaket mit hunderten Bestimmungen wurde ausgebremst, seine Hoffnung auf umfassende Vollmachten musste er nach der klaren Ablehnung eines Superdekrets durch den Senat am Donnerstag begraben.

Er habe sich schon darauf eingestellt, bis zu den Parlamentswahlen Ende 2025 per Dekret zu regieren, sagt Milei. Den Versuch der Regierung, zusammen mit gleichgesinnten Journalisten den Kongress zu diskreditieren, bezeichnet der einflussreiche rechte Abgeordnete Miguel Ángel Pichetto als selbstmörderisch, denn ausländische Investoren seien an institutioneller Stabilität interessiert.

Die Zeitungen und TV-Sender in der Hand mächtiger Medienkonzerne berichten wohlwollend über Milei und bieten ihm in kumpelhaften Interviews eine breite Plattform. Die staatliche Nachrichtenagentur Télam hingegen wird nach 79 Jahren abgewickelt. In den sozialen Netzwerken dominieren aggressive Milei-Fans, die jüngst seinen Auftritt bei einem rechtsextremen Stelldichein in den USA feierten, wo er seinem Vorbild Donald Trump die Wiederwahl wünschte. Allen Rückschlägen zum Trotz sitzt Milei fest im Sattel, auch weil sich die peronistische Opposition führungslos und uneins präsentiert.

Massiven Protest gibt es allerdings von der Straße. Zweimal bereits beteiligten sich in der Hauptstadt Buenos Aires Hunderttausende an Demonstrationen: im Januar bei einem Generalstreik und am 8. März, dem internationalen Frauentag. Feministinnen sind entsetzt über Mileis Ankündigung, das erst 2020 erstrittene Recht auf Abtreibung wieder abzuschaffen, aber auch über Mileis Wirtschaftspolitik. „Alle Regierungsmaßnahmen in diesen drei Monaten waren gegen Arbeiter, Rentner, gegen jene, die am wenigsten haben“, sagt Gewerkschaftsboss Pablo Moyano und bekräftigt: „Unser Kampf gegen dieses ökonomische Modell geht weiter.“