Mit der „Hermann Marwede“ durch die raue Nordsee

Wenn es stürmt und andere Schiffe den sicheren Hafen anlaufen, fahren die Seenotretter von Helgoland raus. Unterwegs auf Deutschlands größtem Seenotrettungskreuzer.

Der deutsche Seenotrettungskreuzer "Hermann Marwede" vor Helgoland
Der deutsche Seenotrettungskreuzer "Hermann Marwede" vor Helgolandepd-Bild / Phillipp Steiner

Am Horizont: Helgoland. Bis zur Insel sind es noch mehr als zehn Seemeilen. Hohe Wellen, starker Wind. Das weiße Schiff mit Streifen in leuchtendem Orange und Rot stampft rauf und runter. Gischt klatscht gegen die Fenster auf der Brücke, Scheibenwischer schieben das Salzwasser zur Seite und Gregor Jeske sieht wieder klar. Der 33-jährige Kapitän mit kleinem Zopf und sonst kurzem Haar wirkt auch in rauer See entspannt. Er weiß: Im Notfall muss sein Schiff Orkanen trotzen und sich um die eigene Achse drehen können. Es ist Deutschlands größter Seenotrettungskreuzer, der da auf Helgoland zuhält.

Kapitän Gregor Jeske auf der Brücke des grössten deutschen Seenotrettungskreuzers, der "Hermann Marwede"
Kapitän Gregor Jeske auf der Brücke des grössten deutschen Seenotrettungskreuzers, der "Hermann Marwede"epd-Bild / Phillipp Steiner

Die „Hermann Marwede“ misst 46 Meter, verfügt über ein Bordhospital, ein Hubschrauber-Arbeitsdeck und das Tochterboot „Verena“. In Cuxhaven hat das Schiff zuvor Brennstoff gebunkert, Proviant gefasst und frische Crewmitglieder aufgenommen. Sechs Seenotretter sind nun an Bord. Einer ist Maschinist Dominik Holtmeier, 51 Jahre, grau-roter Overall. Sein Reich ist unten, wo es warm wird und lärmt bei den 24 Zylindern, denen er im Einsatz noch 16 weitere zuschalten kann. Gemeinsam leisten sie 9.250 PS. Auch Ole Dieckmann gehört zur Besatzung. Der 32-Jährige ist auf Containerschiffen schon Tokio, Singapur und New York angelaufen, später auf einer Eisenbahnfähre in der Ostsee gefahren und hat schließlich bei der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) angeheuert.

„Hermann Marwede“ wacht über die Deutsche Bucht

Am 27. Juni 2003 getauft, ist er seit September 2003 auf Helgoland stationiert. Seither kam er Seeleuten, Seglern und anderen Menschen zu Hilfe, die auf dem Wasser in Not gerieten. Jeske erzählt von einem Einsatz: Es war vor Jahren, „eine bitterböse schwarze Nacht“, wie er sagt. Ein Fischkutter habe manövrierunfähig in der Nordsee getrieben, in der Nähe eines Windparks. Er drohte hineinzutreiben und an einer Windmühle zu zerschellen, so schildert es der Kapitän aus der Erinnerung. Ein anderes Schiff habe nicht genug ausrichten können, die „Hermann Marwede“ habe den Kutter in Sicherheit geschleppt.

Auch die Versorgung eines indischen Seemanns gehört zu den Einsätzen, von denen die Besatzung und die Bremer DGzRS-Zentrale berichten. Er war demnach auf einem Containerfrachter gestürzt, Verdacht auf Ellenbogenbruch. Die Seenotretter gingen an dem riesigen Schiff längsseits und brachten den Verletzten nach Wilhelmshaven. Vergangenen Sommer hätten sie zwei junge Männer gerettet, deren Schlauchboot gekentert sei, erzählt Jeske. Als „Hermann Marwedes“ Tochterboot „Verena“ bei ihnen angekommen sei, hätten sie auf dem umgedrehten Gefährt gesessen.

Das Schiff der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbüechiger (DGzRS) wurde am 27. Juni 2003 getauft
Das Schiff der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbüechiger (DGzRS) wurde am 27. Juni 2003 getauftepd-Bild / Phillipp Steiner

An diesem Frühlingstag 2023 läuft die „Hermann Marwede“ mittlerweile auf Helgoland ein. Jeske ist zum rechten Außenfahrstand gewechselt. Mit handtellergroßem Steuer lenkt er den „Dampfer“, wie er das Schiff auch nennt, bei Abenddämmerung in den Südhafen. „Auf seine Station zurückkommen ist schon ein beruhigendes Gefühl immer“, sagt der Seemann, der mit Frau und Sohn zwischen den zweiwöchigen Schichten in Baden-Württemberg wohnt.

Der Seenotrettungskreuzer ist speziell konstruiert

Die „Hermann Marwede“ wurde von Fassmer in Berne gebaut, mit der Danziger Werft Aluship als Juniorpartner. Der Kreuzer verfüge über einen hochfesten Aluminiumrumpf, getrennte wasserdichte Maschinenräume und hochfeste, extra dicke Spezialscheiben, erklärt Geschäftsführer Harald Fassmer. Wichtige Systeme seien mehrfach vorhanden, um gegen Ausfälle gewappnet zu sein. Und ein niedriger Schwerpunkt und wasserdichte, druckfeste Aufbauten sorgten dafür, dass der Kreuzer sich notfalls um sich selbst drehen könnte: „Wenn er bei extremen Einsätzen kentern sollte, richtet er sich wieder von allein auf.“ Auch das Bordhospital und das Hubschrauber-Arbeitsdeck zum Herunterlassen und Hochziehen durch einen Helikopter machen das Schiff aus.

„Ich hatte wirklich das Gefühl: Jetzt bin ich gerettet“

Josef Baiker hat beide kennengelernt. Allerdings kann der Potsdamer vieles nur aus zweiter Hand berichten – zu benommen war er in jenen dunklen Stunden im November 2021, wie er im April 2023 per Mail und Telefon schildert. Baiker und zwei Mitsegler waren damals auf seinem Boot mit Fernziel Karibik unterwegs, als ein Unfall passierte. Dreieinhalb Rippenbrüche und ein Pneumothorax seien später festgestellt worden. Starke Schmerzen, Atemnot. Die „Hermann Marwede“ kam, ein Notarzt stieß per Helikopter hinzu. Schließlich konnten zwei Seenotretter aufs Segelboot übersteigen und den damals 61-Jährigen auf die „Hermann Marwede“ hieven.

Der Notarzt versorgte ihn im Bordhospital, dann zog der Hubschrauber beide hoch und flog zum Krankenhaus. Später tritt Baiker die Tour in die Karibik neu an, diesmal mit seiner Frau. Und dankt den Helgoländer Seenotrettern im Frühjahr 2023 von der Insel Martinique aus.

Auf Helgoland spült ein Besatzungsmitglied am Abend nach der Rückkehr aus Cuxhaven das Salzwasser von den Brückenscheiben. Bald gibt es ein Deck tiefer Abendbrot. Aber vorher meldet Kapitän Jeske an die Bremer Zentrale: „’Marwede‘ ist wieder klar – P3 Helgoland.“ Heißt: Kreuzer, Tochterboot und Crew sind am Liegeplatz – und bereit zum nächsten Einsatz.