Sie ist 24 Jahre, studiert Klinische Psychologie in Ulm und ist in der Jüdischen Studierendenunion Württemberg aktiv: Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) spricht Lisa Strelkowa über das Sicherheitsgefühl von jungen jüdischen Menschen und erklärt, warum sie selbst politisch aktiv ist und was sie von Gedenktagen wie dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar hält.
epd: Frau Strelkowa, Sie sind Vizepräsidentin der Jüdischen Studierendenunion Württemberg, die jüdische Menschen zwischen 18 und 35 Jahren vertritt. Die Studierendenunion ist auch ein Ansprechpartner für die Politik, wenn es um Antisemitismus an Hochschulen geht. Hat dieser denn nach dem 7. Oktober 2023, dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, an Universitäten zugenommen?
Lisa (Yelizaveta) Strelkowa: Wir merken das definitiv – einerseits durch ein unterschwelliges Klima, das durch Sticker und Schmierereien verursacht wird, aber auch durch größere Aktionen wie Besetzungen und Demonstrationen, die nicht nur israelkritisch, sondern auch teilweise antisemitisch sind. Gewalttätige Angriffe gibt es leider auch vereinzelt auf jüdische Menschen, sie sind aber zum Glück nicht an der Tagesordnung.
epd: Das Sicherheitsgefühl jüdischer Menschen hat also nach dem 7. Oktober 2023 sehr gelitten?
Strelkowa: Definitiv. Israel war schon immer ein politisch kontroverses Thema in Deutschland. Aber selten wurde es so sehr mit uns Juden in Deutschland assoziiert. Und selten wurden wir so sehr da mit hineingezogen.
Wir haben natürlich eine gewisse Verbindung zu Israel, und es war für viele von uns immer ein sicherer Rückzugsort. Wir wussten: Sollten wir in Deutschland nicht mehr sicher sein, können wir nach Israel auswandern. Nun gibt es derzeit auch dort diese Sicherheit nicht mehr.
Außerdem stammen 42 Prozent der jüdischen Menschen in Deutschland aus der Ukraine, so wie ich. Das heißt, als der Ukraine-Krieg begann, hat das bereits unsere Welt auf den Kopf gestellt und dann kam noch der 7. Oktober 2023 und das hat uns dann komplett den Boden unter den Füßen weggerissen. Es gibt also definitiv ein Leben vor und nach den Kriegen.
epd: Wie geht es Ihnen persönlich als jüdische Studentin in Ulm?
Strelkowa: In Ulm sind wir glimpflich davongekommen, aber man merkt auch dort, dass sich das Klima zunehmend radikalisiert und man oft nicht mehr den offenen Diskurs hat zwischen verschiedenen Meinungen und man aufpassen muss, was man sagt. Ich habe auch in meinem persönlichen Umfeld gemerkt, dass auf einmal sehr radikale Positionen zum Nahostkonflikt von beiden Seiten eingenommen werden und das finde ich sehr schwierig bei einem so komplexen Konflikt. Und leider hat das auch zu Streit geführt und Freundschaften sind dabei zerbrochen, was extrem schade ist. Außerdem habe ich den Eindruck, mehr auf mein Jüdischsein reduziert zu werden: Manche begegnen mir noch reservierter als zuvor, manche mit noch mehr Mitleid – beides ist für mich gewöhnungsbedürftig.
epd: Und trotzdem erheben Sie mutig Ihre Stimme – zum Beispiel in der Grünen-Fraktion im Gemeinderat in Ulm – warum?
Strelkowa: Ich hatte eigentlich nicht geplant, politisch aktiv zu werden, aber als ich darauf angesprochen wurde, ob ich nicht für den Gemeinderat kandidieren möchte, fand ich es eine tolle Möglichkeit, als jüdische Person auch Teil der deutschen Demokratie zu sein, weil wir auch ein wichtiger Teil der Gesellschaft sind. Außerdem möchte ich mich nicht nur beschweren, sondern selbst etwas zu tun, damit das politische Klima so ist, dass ich auch hier wohnen möchte.
epd: Neben Ihrem politischen Engagement sind Sie auch bei „Meet a Jew“, aktiv, bei dem junge Jüdinnen und Juden in Schulen gehen und über Ihr Leben und Ihren Glauben berichten. Was erleben Sie dort?
Strelkowa: Ja, das ist ein großes Herzensprojekt von mir. Weil Begegnungen so wichtig sind, um Antisemitismus abzubauen. Häufig bin ich für die Schülerinnen und Schüler die erste jüdische Person, die sie außerhalb von Bildschirmen und Karikaturen sehen. Ein Lehrer erzählte, dass ein Schüler nach der Begegnung mit mir auf ihn zukam und sagte: „Boah, die ist ja voll normal!“
Ich finde es immer wieder schön zu zeigen, dass wir nicht alle Hut und Bart tragen, sondern dass wir ganz normale Menschen sind. Und uns im Endeffekt einfach viel, viel mehr verbindet, als uns unterscheidet.
epd: Am 27. Januar wird der Holocaust-Gedenktag begangen, an dem an die Opfer des Nationalismus und die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz vor 80 Jahren gedacht wird. Was verbinden Sie mit diesem Tag?
Strelkowa: Ich finde solche Tage gut, um einen bestimmten Anlass zu haben, sich an die furchtbaren Ereignisse zu erinnern, damit sie sich nicht noch einmal wiederholen. Und andererseits ist es für mich als Jüdin immer mit sehr komplizierten Emotionen verbunden, weil häufig an mich herangetragen wird, dass ich mich dafür einsetzen muss, dass der Antisemitismus nicht steigt. Und gleichzeitig denke ich mir, es ist aber auch nicht immer meine Aufgabe und unsere Aufgabe als Jüdinnen und Juden in Deutschland, Antisemitismus zu verhindern, sondern die ganze Gesellschaft ist gefragt.
Also emotionslos ist der Tag nie. Aber es ist immer unterschiedlich, inwieweit ich dann an dem Tag zum Beispiel an Aktionen teilnehme oder nicht. Manchmal ja, weil sich das richtig anfühlt. Und manchmal nein, weil ich mir denke, okay, das können jetzt auch mal die anderen machen.
Mir ist wichtig, dass wir neben dem Gedenken und dem Blick auf tote Jüdinnen und Juden auch den Blick auf die lebenden Menschen jüdischen Glaubens richten. Ich finde es gut, sich zu erinnern, aber man sollte auch den Blick in die Zukunft richten. (0151/23.01.2025)