Andreas Englisch präsentiert sein neues Buch über Papst Leo XIV. Der Verlag preist es als Pflichtlektüre für Papst- und Kircheninteressierte – doch was bleibt, wenn der Weihrauch der Ankündigung verflogen ist?
Für manche gilt Andreas Englisch als “der” deutsche Chronist des Vatikans. Auch der Bertelsmann-Verlag bewirbt ihn als einen Mann, der wie kein Zweiter hinter die Mauern von Sankt Peter blickt. Nach der Wahl eines neuen Papstes war es also nur eine Frage der Zeit, bis ein neues Papst-Erklär-Buch aus der Feder des “bestinformierten Journalisten im Vatikan” erscheint.
Doch kann “Leo XIV. Der leise Mönch an der Spitze der Macht” die Erwartungen einlösen, die der Verlag schürt? Laut Ankündigung soll das Buch sich “aus nächster Nähe” dem ersten US-amerikanischen Papst nähern.
Englischs Papstbuch umfasst rund 370 Seiten. Einen großen Teil nehmen Gesprächsnotizen und Interviews ein, viele aus seiner eigenen Feder, andere aus internationalen Medien. Gemeinsam mit einem deutschen Augustinerpater, den Robert Francis Prevost – wie Leo XIV. vor der Wahl hieß – als Chef des Augustinerordens in die Ordensleitung nach Rom geholt hatte, versucht Englisch ausführlich, den Spuren Leos zu folgen. Daneben präsentiert der Autor beispielsweise eine protestantische Pastorin, die Prevost während einer Deutschlandreise begegnete, sowie Stimmen aus den USA. Zudem spricht der Journalist ausführlich mit einem peruanischen Bürgermeister, der den neuen Papst noch aus dessen Bischofszeit kennt. Weitere Anekdoten und Einschätzungen ergänzen den Reigen.
Über weite Strecken weitet Englisch den Blick auf kirchenpolitische Themen: von kirchenhistorischen Abrissen über die vatikanische Chinapolitik und Heiligsprechungen bis hin zu Spannungen zwischen Rom und der deutschen Kirche oder zum Missbrauchsskandal. Die Fülle der Themen führt jedoch dazu, dass Leo XIV. immer wieder zur Randfigur wird. Englisch springt von Augustinus und Zölibat zum Kölner Kardinal Woelki und schließlich zur Raumfahrt – eine beachtliche Spannweite, die aber aufgrund ihrer weiten Bögen nicht immer überzeugt.
Weitaus präsenter als der Papst ist in Englischs Buch der Autor selbst. Immer wieder berichtet er von eigenen Begegnungen, beruflichen Erfahrungen und familiären Anekdoten. Streckenweise wirkt das Buch mehr wie eine autobiografische Rückschau als eine journalistische Papstbiografie. Besonders deutlich wird dieser rote Faden am Ende, wenn Englisch schreibt: “Manchmal passiert es mir, dass die Angestellten des Vatikans mich erkennen, wenn ich an einem der Gräber meiner Päpste stehe, und dann sagen sie: ‘Ach, das sind ja Sie, Herr Englisch. Kommen Sie doch nach vorne, Sie brauchen nicht dort hinten zu stehen. Sie haben diesen Papst doch persönlich gekannt.'”
Auch im wöchentlich erscheinenden Podcast “Vatikangeflüster” mit der Journalistin Heike Kleen setzt sich Englisch ähnlich in Szene. Er verlässt auch dort immer wieder die Rolle des Beobachters und bringt sich stark selbst mit ein. Das wirkt nahbar, rutscht bisweilen aber in Distanzlosigkeit ab. Weite Teile des Buches erinnern sowohl stilistisch als auch inhaltlich an Transkripte ganzer Folgen des “Andreas-Englisch-Podcasts”.
Ebenfalls aus diesem Podcast bekannt sind Englischs Ausführungen zu römischen Kardinalswohnungen. Der Autor führt seine Leserinnen und Leser in die Wohnungen konservativer und liberaler Kardinäle und erklärt holzschnittartig, woran man diese erkennen könne. Marienbilder und zu Kaffee oder Tee gereichte Speisen werden zu kirchenpolitischen Distinktionsmerkmalen. Unterhaltsam ist das allemal – doch auch das führt immer wieder vom eigentlichen Thema weg. Wobei Englisch auf alle Fälle ein begabter Erzähler ist, der auch bei seinen Umwegen keine Langeweile aufkommen lässt.
Problematischer sind die sachlichen Ungenauigkeiten des Buches. An einigen Stellen sind die Ausführungen unpräzise oder schlicht falsch. So berichtet Englisch beispielsweise von einem Kardinal Girotti, der ihm während des Vorkonklaves etwas gesagt habe. Einen Kardinal Girotti gibt es nicht, sondern lediglich einen Kurienerzbischof mit diesem Namen. Gemeint ist wohl stattdessen Kardinal Claudio Gugerotti. Ebenso habe Georg Gänswein, so Englisch, einen Lehrauftrag an der Opus-Dei Hochschule Sacro Cuore in Rom gehabtDoch diese Hochschule gibt es nicht. Es handelt sich hier wohl um eine Verwechslung mit Universität Santa Croce, an der Gänswein tatsächlich lehrte.
Auch bei Zahlen und kirchenrechtlichen Details zeigt sich Englischs flexibler Umgang mit Fakten: So nennt er veraltete Ordensstatistiken und schreibt von einem Benediktiner-Generalat in Rom – eine Institution, die in dieser Form nicht existiert, da der Abtprimas keine vergleichbaren Zugriffsrechte wie ein Ordensgeneral besitzt.
Mit “Leo XIV. Der leise Mönch an der Spitze der Macht” legt der Vatikanjournalist Andreas Englisch ein Buch vor, das weniger durch präzise Analyse glänzt als durch erzählerische Kunst. Wer auf Genauigkeit und Substanz Wert legt, könnte enttäuscht werden. Wer hingegen Freude an unterhaltsamen Geschichten aus dem Umfeld des Vatikans hat und Wegen und Umwegen eines routinierten Geschichtenerzählers folgen möchte, ist hier bestens aufgehoben.