Missbraucht und geprügelt – “Tatort”-Star über seine Kindheit

Er ist bekannt aus dem Kölner “Tatort” und als Gefängnisarzt und Autor. Jetzt hat Joe Bausch sein persönlichstes Buch geschrieben. Darin geht es um seine Kindheit auf dem Bauernhof, Prügel, Missbrauch – und Lebenskraft.

Es ist ein Buch, das man schwer aus der Hand legt, weil es so schonungslos ehrlich ist. Die Kindheit auf einem Bauernhof im Westerwald in den 1950er Jahren, die harte Arbeit, die Prügel des Vaters, der Missbrauch durch den Pflegebruder: Schauspieler Joe Bausch (70), bekannt als Gerichtsmediziner aus dem Kölner “Tatort”, schreibt so, dass der Leser nah am traumatischen Geschehen ist. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach am Montag in Berlin mit ihm über Missbrauch und Erniedrigung, Lebenskraft und Zuversicht, Gott und Glauben.

KNA: Herr Bausch, wieso haben Sie dieses Buch über Ihre Kindheit und Jugend geschrieben? Über Missbrauch, Erniedrigung und Prügel, die Ihnen widerfahren sind?

Joe Bausch: Weil sich die Täter schämen müssen und nicht die Opfer. Es kann nicht sein, dass die Opfer darüber nachdenken müssen, ob sie ihre Erfahrungen unterschlagen oder nicht. Mir ist klar geworden, dass es verdammt viele von uns gibt, in allen gesellschaftlichen Schichten. Mein Buch soll auch Mut machen, sagen: “Du bist nicht allein.”

KNA: War das nicht ein sehr schmerzhafter Prozess?

Bausch: Ja, als ich das Buch als Hörbuch eingelesen habe, war meine Stimme an mancher Stelle schon sehr beschlagen, und wir mussten das nochmal lesen.

KNA: Uwe, der 21-jährige Pflegesohn Ihrer Eltern, gewinnt Ihre kindliche Zuneigung, indem er Ihnen vorliest. Das Vertrauen nutzt er dann aus und missbraucht sie, als Sie Grundschüler sind, mehrfach sexuell. Trotz dieser Erfahrung schimmert in Ihrem Buch durch, dass auch er Opfer der Umstände ist. Als langjähriger Gefängnisarzt kennen Sie Täterbiografien sehr gut…

Bausch: Das stimmt. Was einen Menschen böse macht, ist ein Thema, das durch mein Leben geht. Ich habe auch als Schauspieler Verbrecher gespielt wie sonst nix und viel darüber nachgedacht, wieso ich davongekommen bin, wieso sich mein Leben anders entwickelt hat als das Leben so vieler, die auch Gewalt erlebt haben und die ich als Anstaltsarzt behandelt habe.

KNA: Was ist Ihre Antwort?

Bausch: Meine Kindheit auf dem Bauernhof hat mich gelehrt, Verantwortung zu übernehmen. Und auch, dass ich die Folgen zu tragen habe, wenn ich meiner Verantwortung nicht gerecht werde. Daraus ist so eine Art Selbstverpflichtung entstanden, weiterzumachen, immer wieder aufzustehen. Es hört kein Bauer auf, Bauer zu sein, weil die Ernte verfault ist.

Bereits als kleines Kind musste ich mithelfen und machen, was ich eben schon konnte. Ich musste etwa als Fünfjähriger dafür sorgen, dass die Sau ihre neugeborenen Ferkel nicht erdrückte, in dem sie sich auf sie legte – also stundenlang neben ihr wachen und aufpassen. Einmal bin ich dabei eingeschlafen – und wurde von dem lauten Gebrüll meines Vaters wach, der den toten “Freckerling” an die Wand warf. Am liebsten hätte er das wohl mit mir gemacht in seiner Wut. Auf dem Bauernhof lernt man, das Leben aushalten zu können.

KNA: Sie mussten auch die Schläge Ihres Vaters aushalten…

Bausch: Mache Sachen kann man erst im Gesamtzusammenhang beurteilen, wenn man älter ist. Ich weiß jetzt, dass mein Vater, wenn er mich geschlagen hat, das deshalb gemacht hat, weil er ständig unter Druck stand. Er war total überfordert damit – den Bauernhof am Laufen zu halten, den Lebensunterhalt für alle zu sichern. Trotz allem habe ich ihn geliebt: Er war mein Held. Und das spielt auch bei meinem eigenen Lebensweg eine Rolle: Ich wollte meinen Eltern, die sich täglich krumm gelegt haben, nicht weh tun. Das hat bestimmt auch geholfen, dass ich keine Scheiße gebaut habe.

KNA: Ihren Eltern, die NS-Zeit und Krieg erlebt hatten, fiel es schwer, Ihnen Liebe und Zuneigung zu zeigen. Was erwarten Sie von Eltern von heute? Was kritisieren Sie?

Bausch: Wir – ich bin auch Vater und nehme mich nicht aus – versuchen vielleicht zu sehr, unseren Kindern die Welt passend zu machen. Und versäumen darüber, sie auf die Welt vorzubereiten.

KNA: Der Dorfpfarrer schlägt Sie in einer Szene blutig, weil Sie die falsche Glocke geläutet haben. Die Beichte kommt auch nicht gut weg.

Bausch: Ja, in der Beichte haben wir alle das Lügen gelernt – ich bin ja nicht der Einzige, der sich als Kind im Beichtstuhl etwas Harmloses ausgedacht hat, um aus der Situation rauszukommen.

KNA: Trotzdem waren Sie begeisterter Messdiener, im Buch beschreiben Sie diese Erfahrung als “Einstiegsdroge für Auftritte vor Publikum”. Wie ist Ihr Verhältnis zur katholischen Kirche heute?

Bausch: Ich bin ausgetreten. Nicht, weil ich ein Atheist bin, sondern weil ich klar machen wollte, dass das nicht mehr mein Weg ist. Zuviel ärgert mich einfach. Ist es nicht längst Zeit für eine Päpstin? Ohne Frauen, die überall die Gemeinden am Laufen halten, wäre die Kirche trostlos. Es ging mir nicht ums Geld bei meinem Austritt. Die Kirchensteuer muss ich jetzt zwar nicht mehr zahlen, aber ich spende weiterhin regelmäßig, etwa für philippinische Straßenkinder. Mein Gewissen ist durch meine christliche Erziehung sehr ausgeprägt.

KNA: Gehen Sie noch manchmal in die Kirche?

Bausch: Natürlich, zum Beispiel, wenn ich unterwegs bin, gehe ich in eine Kirche, um eine Kerze anzuzünden. Es ist für mich ein Moment der Besinnung, auch ein Nachhausekommen. Über einen einfachen Zettel an der Tür meiner Heimatkirche im Westerwald, als ich neulich wegen Dreharbeiten mal wieder da war, war ich ganz ergriffen. Darauf stand: “Willkommen zu Hause.”

KNA: “Wir müssen es uns schön machen”, sagt Ihre Oma Anna in Ihrem Buch, “das Leben ist hart genug.” Machen Sie das?

Bausch: Das tue ich. Es sich schön zu machen im Sinne meiner Oma heißt aber nicht, dass man es sich möglichst bequem macht und auf der faulen Haut liegt. Sondern eher, das Leben mit Zuversicht zu betrachten und auch den schwierigen Momenten Paroli zu bieten. Meine Oma Anna schaffte das zum Beispiel durchs gemeinsame Singen in der Küche. Das füllte das ganze Haus, so düster die Stimmung auch manchmal war, mit einer angenehmen Atmosphäre.

Man ist auch selbst für sein Glück verantwortlich. Man muss selbst aktiv werden. Ich selbst warte nicht darauf, dass andere kommen, die mein Leben schön machen.

KNA: Was nehmen Sie an positiven Erinnerungen mit von Ihrer Kindheit auf dem Bauernhof?

Bausch: Auf dem Bauernhof tritt man morgens aus der Haustür und blickt ins Firmament, ob der Himmel hell und blau ist, oder ob Wolken aufkommen. Als Bauer ist man vom Wetter abhängig. Das führt zu einer gewissen Gottergebenheit. Man weiß nie, was kommt, der Himmel ist über einem. Den Blick des Bauern habe ich behalten.