Missbrauchsverdacht bei Pfadfindern: Kirche erstattet Anzeige

Bei den christlichen Pfadfindern in Kiel soll ein Gruppenleiter in den 1990er-Jahren Minderjährige sexuell missbraucht haben. Zeuginnen und Zeugen werden gesucht.

Missbrauchsvorwürfe bei den christlichen Pfadfindern in Kiel: Die Pröpstin Almut Witt (rechts) ist alarmiert
Missbrauchsvorwürfe bei den christlichen Pfadfindern in Kiel: Die Pröpstin Almut Witt (rechts) ist alarmiertMarcel Maack

Bei den christlichen Pfadfindern in Kiel soll ein Gruppenleiter in den 1990er-Jahren Minderjährige sexuell missbraucht haben. Die evangelische Kompass-Kirchengemeinde und der Kirchenkreis Altholstein kündigten an, Anzeige gegen den Beschuldigten zu erstatten. Zusammen mit dem Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) bitten sie Zeuginnen und Zeugen, sich zu melden. Die Kieler Nachrichten hatten zuerst über die Vorwürfe berichtet.

Der damals Mitte 30-Jährige habe Gruppen des Pfadfinderstammes St. Michael geleitet, hieß es. „Es hat eine anonyme E-Mail an leitende Pfadfinderinnen und Pfadfinder gegeben, die sich auf diese Ereignisse in den 90er-Jahren bezieht und die schwere Anschuldigungen enthält“, sagte Anna Benkiser-Eklund, Pastorin der Kompass-Kirchengemeinde. Was sie in Erfahrung bringen konnte, sei bruchstückhaft. „Der Beschuldigte soll auf einem Freizeitlager Jugendliche in ihrem Schlafsack belästigt und gegen ihren Willen berührt haben. Aber wir müssen damit rechnen, dass auch Dinge passiert sind, die darüber hinausgegangen sind.“ Die Mail ging nach Angaben von VCP-Vertrauensperson Folke Brodersen „in diesem Frühjahr“ ein.

Pröpstin: „Wir wissen, dass junge Menschen damals Hilfe gesucht haben“

Pröpstin Almut Witt habe durch die Recherchen der Zeitung Kenntnis von den Vorwürfen erlangt, hieß es. „Es sind gerade mal 14 Tage, dass wir davon wissen“, sagte sie. „Wir konnten bisher rekonstruieren, dass sich der Beschuldigte seit 1985 in unserer Jugendarbeit engagiert hat, zunächst als Honorarkraft in der Kirchengemeinde und später als fest angestellter Jugendwart beim damaligen Kirchenkreis Kiel.“ Laut Kirchenkreis-Pressesprecher Jürgen Schindler bestätigten erste Nachforschungen den Verdacht gegen den Beschuldigten. Witt sagte: „Wir wissen, dass junge Menschen damals Hilfe gesucht haben.“

Mitglieder des Pfadfinderstammes hätten sich 1997 an die beiden Pastoren der Kirchengemeinde gewandt, hieß es. Der Beschuldigte habe die konkreten Übergriffe seinerzeit nicht bestritten. Sein Arbeitsverhältnis sei daraufhin zum 30. November 1997 aufgelöst worden. Zudem habe er die Auflagen erhalten, eine Tätertherapie zu machen und aus dem Stadtteil wegzuziehen. „Angeblich auf Wunsch der Betroffenen ist damals keine Strafanzeige gestellt worden“, sagte Witt. „Wir können heute nicht ausschließen, dass dabei Druck auf die Jugendlichen ausgeübt wurde.“

Beschuldigter nicht mehr in der Kirche beschäftigt

Laut Witt wohnt der Beschuldigte noch in der Stadt Kiel. In der Kirche sei er „definitiv nicht“ mehr beschäftigt. In der anonymen E-Mail sei sein Name explizit genannt worden, hieß es. Ob er Jungen und Mädchen oder nur Jugendliche eines Geschlechts missbraucht haben soll, ist laut Schindler unklar. Sich widersprechende Äußerungen gebe es bei der Frage, ob der Suizid eines Pfadfinders damals in Verbindung mit sexualisierter Gewalt stand, sagte Benkiser-Eklund. Beide Positionen seien glaubwürdig. Die „Kieler Nachrichten“ hatten berichtet, dass sich ein mutmaßlicher Betroffener an einem Baum erhängt hatte.

Der VCP arbeitet derzeit Fälle von sexualisierter Gewalt an Pfadfinderinnen und Pfadfindern in Deutschland auf. Im Januar rief er Betroffene und Zeitzeugen auf, sich zu beteiligen. Jessica Schlottke aus dem VCP-Landesvorstand sagte, möglicherweise stehe die E-Mail im Zusammenhang mit dem Aufruf. „Wir bitten Zeuginnen und Zeugen, sich zu melden, bei unseren fünf Vertrauenspersonen oder bei jeder anderen Anlaufstelle“, appellierte sie.

Laut Witt stehen die Betroffenen dabei an erster Stelle: „Wir wollen ihnen zuhören, wir nehmen sie ernst und wir möchten ihnen helfen. Und selbstverständlich sichern wir allen Betroffenen unsere volle Unterstützung zu.“

Hinweis: Zeugen und Betroffene können sich unter anderem an folgende Kontakte wenden: