Die Historikerin Lena Haase und der Historiker Lutz Raphael haben am Donnerstag den dritten Zwischenbericht im Rahmen des Forschungsprojektes zum sexuellen Missbrauch im Bistum Trier von 1946 bis 2021 vorgelegt. Er beleuchtet den Zeitraum von 2002 bis 2021 und damit die Amtszeit des früheren Trierer Bischofs Reinhard Marx (2002-2008) und große Teilen der Amtszeit des aktuellen Trierer Bischofs Stephan Ackermann (seit 2009). Für diese Jahre ermittelten die Forscher von der Universität Trier insgesamt 59 von Missbrauch betroffene Minderjährige und schutzbefohlene Erwachsene. Zudem wurden und 37 Beschuldigte ermittelt.
„Deutlich wird in erster Linie, dass es lange Zeit kein schematisches Vorgehen, sondern eine Einzelfallprüfung gegeben hat, die zu einem nicht selten nachsichtigen Umgang mit den Beschuldigten führte“, erläuterte Haase am Donnerstag bei der Vorstellung der Studie. In einem Lernprozess innerhalb des Bistums sei nach und nach erkannt worden, dass die Missbrauchsfälle keine Einzelfälle gewesen seien, sondern struktureller Natur.
Bischof Ackermann erklärte, es schmerze ihn, die Schilderungen des Berichts zu lesen. „Ich kann nur um Verzeihung bitten für das, was ich oder meine Mitarbeitenden Betroffenen sexualisierter Gewalt in unserem Bistum durch unser Handeln oder Nichthandeln an neuen Verletzungen zugefügt haben“, betonte er. Der Bericht nehme das Bistum erneut in die Pflicht, noch stärker betroffenenorientiert zu handeln. Dafür werde er als Bischof alles tun. Das Bistum werde zudem seine personelle Ausstattung im Bereich Prävention, Intervention und Aufarbeitung kritisch überprüfen. Die Aufarbeitung sei „längst nicht abgeschlossen“.
Für den nun untersuchten Zeitraum zählt die Studie 35 Betroffene und 21 Beschuldigte in der Trierer Amtszeit des aktuellen Münchner Erzbischofs Marx sowie 24 Betroffene und 16 Beschuldigte in der Amtszeit des amtierenden Trierer Bischofs Ackermann. Nicht alle der 24 in seiner Amtszeit Betroffenen seien den Verantwortlichen im Bistum bekannt, sagte Ackermann. Er bat sie darum, „wenn es ihnen möglich ist, sich auch noch bei uns zu melden“. Den Wissenschaftlern dankte er für ihre Beharrlichkeit und die detaillierte Aufarbeitung.
Positiv bewertet die Studie den Rückgang der Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie der Beschuldigten im Vergleich zu den Amtszeiten früherer Bischöfe. Im vorherigen Zwischenbericht zur Amtszeit von Hermann Josef Spital (1981-2001) ermittelten sie fast 200 von sexuellem Missbrauch betroffene Kinder und Schutzbedürftige. Auch habe sich die Zeit zwischen Tat und Meldung „deutlich verkürzt“, heißt es. Sukzessive seien Strukturen aufgebaut worden, um Meldungen entgegenzunehmen, Fälle zu klären und Beschuldigte zu sanktionieren, Betroffenen Anerkennungsleistungen zu zahlen und Präventionskonzepte zu installieren.
Mit Blick auf die Amtszeit von Marx kritisierten Haase und Raphael unter anderem, dass die Staatsanwaltschaft in keinem einzigen Fall informiert worden sei. Auch die Sanktionierung von Beschuldigten sei unzureichend gewesen und es habe so gut wie keine Hilfsangebote für Betroffene gegeben. Für die Amtszeit von Ackermann bescheinigen die Historiker deutliche Verbesserungen sowohl bei der internen Aufklärung als auch bei der Meldung an Strafverfolgungsbehörden sowie bei Sanktionen. Allerdings habe es eine unzureichende Kommunikation und Transparenz und eine weiterhin problematische Personalpolitik gegeben.
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich des Bistums Trier erklärte, es reiche nicht, nur die Bistumsleitung zu untersuchen, „um das jahrzehntelange Vertuschen, Verdrängen und Leugnen der Verbrechen zu erklären“. Darüber hinaus sei auch eine kritischere Auseinandersetzung mit der Mitverantwortung der Pfarreien vor Ort nötig.
Die 2022 gestartete Untersuchung basiert den Angaben zufolge auf 1.279 ausgewerteten Aktenbänden und 30 Gesprächen mit Betroffenen sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen – darunter auch Marx und Ackermann. Für den Gesamtzeitraum der Studie seien aktuell 246 Beschuldigte identifiziert, die sexualisierter Gewalt begangen haben sollen und zwei weitere Personen wegen Besitzes von Kinderpornographie, schreiben Haase und Raphael. 734 Menschen seien als Betroffene bekannt.