Missbrauch: Präses Latzel will Betroffene in den Fokus stellen

Bei der Aufklärung von sexuellem Missbrauch will der rheinische Präses Thorsten Latzel besonders die Perspektive von Betroffenen im Blick haben. „Die Betroffenen haben schlicht ein Anrecht darauf, dass wir Fälle von sexualisierter Gewalt aufklären, und da sind wir dran“, sagte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland am Donnerstag in Düsseldorf. „Uns ist wichtig, dass wir wirklich konsequent die Perspektive der Betroffenen ernst nehmen und nicht nur von einzelnen Fällen, Zahlen, dabei sprechen.“ Denn hinter jedem gemeldeten Fall stehe ein „persönliches, menschliches Schicksal“.

„Wir müssen konsequent aufarbeiten, um Prävention zu leisten“, unterstrich der evangelische Theologe. „Das Thema Vertrauen ist natürlich für uns essenziell.“ Auch die Kirche sei von sinkendem Vertrauen in Institutionen betroffen. „Wir brauchen Vertrauen ineinander, in die Mitmenschen, in unsere Institutionen“, betonte Latzel. „Davon lebt die Gesellschaft insgesamt.“

Vizepräses Christoph Pistorius hob die Bedeutung von transparenter Aufarbeitung sexualisierter Gewalt hervor. Bei der vor zwei Jahren eingerichteten Meldestelle der rheinischen Kirche seien mittlerweile 87 Meldungen eingegangen, 24 davon seit Mitte dieses Jahres. „Nicht jede Meldung ist auch gleich ein Fall“, betonte er. Dennoch werde jede Rückmeldung ernst genommen. Zuletzt sei die Zahl der Meldungen stärker gestiegen. „Wir merken, dass die Haltung sich deutlich verändert hat“, sagte Pistorius. Mittlerweile würden auch Altfälle gemeldet, bei denen die Menschen damals lediglich ein „komisches Gefühl“ gehabt hätten.

Die Kirchengemeinden und Kirchenkreise hätten zuletzt viel getan, hob der Theologe hervor. Sie hätten Schutzkonzepte erarbeitet, geschult und eine höhere Sensibilität entwickelt. Wenn am 25. Januar die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Auftrag gegebene Missbrauchsstudie veröffentlicht werde, gehe es nicht wie bei der katholischen MHG-Studie nur um Pfarrpersonen, sondern auch um beruflich Mitarbeitende und Ehrenamtliche. Denn es sei nachrangig, um welchen Personenkreis es gehe: „Für betroffene Personen ist jeder Fall schrecklich.“

Die Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle ändere sich ständig, weil immer wieder neue Meldung dazukämen, aber auch Fälle abgeschlossen würden, sagte Pistorius. Das Thema Missbrauch beschäftigt neben vielen anderen Themen auch die Landessynode der rheinischen Kirche, die vom 14. bis 19. Januar 2024 in Düsseldorf tagt. Mit knapp 2,7 Millionen Mitgliedern ist die rheinische Kirche die zweitgrößte der 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland.

Die EKD und die Diakonie hatten am Mittwoch eine Gemeinsame Erklärung mit der unabhängigen Missbrauchsbeauftragten des Bundes zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt unterzeichnet. Damit unterstreichen sie das Ziel unabhängiger Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und verpflichten sich zur Einhaltung von Kriterien und Standards bei der Aufarbeitung. Dazu zählen Professionalität, Transparenz und die Beteiligung Betroffener.