Sexualisierte Gewalt ist kein Thema, mit dem die Kirche irgendwann fertig sein wird. Das ist die Botschaft der pfälzischen Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst, mit der sie am Dienstag vor die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) tritt. Das evangelische Kirchenparlament berät noch bis Mittwoch in Dresden. „Wir werden nie alles getan haben“, sagt Wüst als eine der kirchlichen Sprecherinnen des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt in der EKD und der Diakonie.
Das Beteiligungsforum ist das zentrale Gremium für Fragen der Aufarbeitung und Prävention in der evangelischen Kirche, in dem Betroffene und kirchliche Vertreter eigentlich gleichberechtigt entscheiden sollen. Dass das nicht immer einfach ist, macht die Betroffenensprecherin Nancy Janz deutlich: „Die Macht des Beteiligungsforums reicht nur so weit, wie Institutionen bereit sind, sie zuzulassen“, sagt sie in ihrem Bericht vor der Synode. Damit spricht sie die 20 evangelischen Landeskirchen und 17 Diakonie-Landesverbände an, die eigentlich bis zum 1. Januar 2026 eine Richtlinie zu einheitlichen Regeln für Anerkennungsleistungen umsetzen sollen. Das ist aber – und das klingt in beiden Berichten an – derzeit nicht überall sicher.
Das neue System für die Anerkennungsleistungen sieht vor, dass es künftig eine pauschale Leistung in Höhe von 15.000 Euro geben soll, wenn eine Tat nach heutigen Maßstäben strafbar wäre. Wichtiger ist aber die individuelle Leistung, die nach einer persönlichen Anhörung vor einer Kommission jedem Betroffenen zugesprochen und in der Höhe nicht begrenzt werden soll. Die Zahlungen machten zwar nichts ungeschehen, betont Janz, könnten aber ein Stück Würde zurückgeben.
Im Beteiligungsforum wird derzeit ein sogenannter Anhaltskatalog erarbeitet, der als Orientierungshilfe sicherstellen soll, dass alle Anerkennungskommissionen ähnliche Entscheidungen treffen. Dabei werde so zäh verhandelt wie auf einem Basar, sagt Janz. Später führt sie vor Journalisten aus, eine Einigung bis zum 1. Januar sei fraglich. „Wenn wir hier jetzt eine Zahl nennen, ist damit gegebenenfalls eine Obergrenze gesetzt, die die Richtlinie ausschließt. Wir wollen als Betroffenenvertreter da keine faulen Kompromisse eingehen“, sagt sie.
Kirchenpräsidentin Wüst betont, dass das neue System für die Anerkennungsleistungen dennoch im Januar starten könne, denn der Katalog sei keine notwendige Bedingung für den Start. Er sei eben nur eine Orientierungshilfe. Detlev Zander, ebenfalls Mitglied im Beteiligungsforum, befürchtet aber, dass dann genau der Flickenteppich bei den Entscheidungen entsteht, den man verhindern möchte.
Zander gehörte im Jahr 2019 zusammen mit der heutigen unabhängigen Bundesbeauftragten gegen Missbrauch, Kerstin Claus, zu den ersten Betroffenen, die vor der Synode sprechen durften, die damals ebenfalls in Dresden tagte. „Seither haben wir viel erreicht, die Machtverhältnisse haben sich verschoben“, sagt er. Doch mittlerweile befürchte er, dass die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche zu einer bloßen Verwaltungsaufgabe werde. „Wenige sehen wirklich die Menschen, um die es geht“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Katharina Kracht und Jakob Feisthauer von der Initiative „Vertuschung beenden“ beobachten die Debatten über den Umgang mit sexualisierter Gewalt von außen. „Es ist im Augenblick schwer, den Überblick zu behalten, denn wir Betroffene werden oft nicht informiert“, sagt Kracht. Die beiden treibt ebenfalls die Sorge um, dass die Anerkennungsrichtlinie nicht überall umgesetzt und dass es Obergrenzen für die Zahlungen durch die Hintertür geben könnte. Vor allem aber werden sie ungeduldige: „Es gibt ein Wettrennen des Langsamlaufens“, sagt Feisthauer. Auch Nancy Janz macht klar: „Macht, die sich nicht bewegt, ist Missbrauch.“