Missbrauch in der Kirche: „Was wir bisher getan haben, reicht nicht“

Bei der Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in der evangelischen Nordkirche steht für die Schleswiger Bischöfin Nora Steen (47) der Kontakt zu den Betroffenen an erster Stelle. „Was wir bisher getan haben, reicht nicht. Betroffene spiegeln uns, dass sie sich nicht frei fühlen, alles zu sagen“, sagte die Bischöfin im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Sie selbst habe schon Gespräche mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt geführt und wolle das auch weiterhin tun. „Aber das ist ein sensibler Bereich, da muss erst Vertrauen aufgebaut werden, sofern Betroffene das überhaupt noch wollen“, erklärte die Bischöfin, die vor rund 100 Tagen, am 5. November 2023, in ihr Amt eingeführt wurde.

Die Kirche müsse an einem Kulturwandel arbeiten, transparent werden in ihren Strukturen und in der Kommunikation, um Missbrauchsfälle aufzuarbeiten und sexualisierter Gewalt vorzubeugen. „Das aber kann von oben nicht verordnet werden. Das ist eine innere Haltungsfrage und wird dauern“, erklärte Steen. Kirche sei nicht unfehlbar und das müsse sie auch nach außen hin vermitteln.

Als Bischöfin eines ländlich geprägten Sprengels sieht Steen in der Vereinsamung älterer Menschen auf dem Leben ein großes Problem. Viele Senioren lebten allein in ihren Häusern, hätten wenige Kontakte. „Außerdem ziehen sich die ambulanten Pflegedienste aufgrund des Fachkräftemangels teilweise aus dem ländlichen Raum zurück“, sagte die Bischöfin. Staat, Kirche und andere Sozialträger müssten zusammen ein Netz ehrenamtlicher Hilfe aufbauen, bestehend aus Gemeindeschwester, Besuchs- und Fahrdiensten.

Es sei ein Vorteil, dass Kirche nahezu noch in jedem Dorf präsent sei. Öffentliche Räume für das gemeinschaftliche Dorfleben fehlten oftmals und sollten von den Kirchengemeinden offensiv angeboten werden. „Einige Kirchengemeinden gehen schon beispielhaft voran, in dem sie Essen in Gemeinschaft anbieten“, so Steen.

Bisher habe sie sich für das Amt als Bischöfin nicht verbiegen müssen. „Und es ist mein größtes Anliegen, es auch nicht zu tun.“ Viele Menschen begegneten ihr ehrfürchtig, das müsse aber überhaupt nicht sein. „Als Bischöfin bin ich nicht heiliger oder besser als andere.“

Allerdings öffne das Amt ihr im Land, in der Wirtschaft, in der Politik viele Türen. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Wertschätzung auf nicht-kirchlicher Ebene so groß ist“, sagte Steen. Das ermögliche auf vielen Ebenen Zusammenarbeit, was sie entsprechend nutzen wolle.