Missbrauch: Emotionaler Appell bei hannoverscher Landessynode

Stehender Applaus nach einer ergreifenden Rede: Nancy Janz spricht vor der Synode der hannoverschen Landeskirche über ihre Missbrauchserfahrungen – und stärkt Landesbischof Ralf Meister den Rücken.

Als Nancy Janz ihre Rede beendet hat, herrscht zunächst einige Sekunden Stille im Saal. Dann stehen die Zuhörer auf und spenden stehend Applaus. Janz ist als Jugendliche von einem Pastor missbraucht worden und arbeitet im Beteiligungsforum sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit. Am Freitag hat sie vor der Synode der hannoverschen Landeskirche gesprochen. In ihrem sehr persönlichen Vortrag erzählt sie ihre Geschichte und ruft zu einem Kulturwandel auf. Rücktrittsforderungen gegen den anwesenden hannoverschen Landesbischof Ralf Meister spielen dabei nur am Rande eine Rolle.

Janz erzählt, wie damals der Pastor sich ihr angenähert und ihren Glauben an Gott und an die Kirche ausgenutzt habe. Wie sie nach und nach Teil seiner Familie wurde. Und wie sie bei anderen Menschen, denen sie sich anvertraute, auf Ablehnung stieß. “Heute weiß ich, dass er noch viele weitere junge Frauen vor und vor allem nach mir bedrängt hat.”

Die im Kloster Loccum bei Hannover tagenden Kirchenparlamentarier ruft sie auf, an der Seite der Betroffenen zu stehen. “Seien Sie Brüder und Schwestern! Machen Sie die Tür auf, damit wir nach Hause kommen können.”

Das Schlimmste für sie sei nicht der sexuelle Missbrauch gewesen. “Das schlimmste war, dass ich mein Gefühl von Sicherheit im Glauben und in der Gemeinschaft verloren habe, meines Zuhauses beraubt wurde, weil kein Bruder, keine Schwester sich zu mir gestellt hat”, so Janz. “Ich ging. Niemand hat mich aufgehalten. Schien es doch viel einfacher, den Störenfried ziehen zu lassen.”

So wie sie seien viele andere Betroffene auch gegangen. “Doch glauben Sie mir, nicht alle von uns sind weit weg gelaufen. Viele von uns stehen vor den Türen und warten. Warten darauf, dass ihnen endlich die Tür geöffnet wird.”

Landesbischof Meister, dem Fehler im Umgang mit Missbrauch vorgeworfen werden, ergeht sich in seiner Antwort in Allgemeinplätzen. “Wir wissen, dass wir eine Kirche in Umkehr sein müssen.” Auch als Bischof müsse er ein Bischof in Umkehr sein. “Wir sind noch nicht die, die wir sein wollen. Und die Kirche, die werden muss, wird eine Kirche sein, die nicht mehr die ist, aus der wir kommen.”

Zugleich weist der Geistliche Verantwortung von sich: “Ich leite nicht das Landeskirchenamt. Alle, die ein bisschen mit Verwaltung zu tun haben, wissen, dass es völlig unmöglich ist, alle Vorgänge zu kennen.” Dennoch habe er inzwischen Kenntnis über viele wichtige Angelegenheiten.

Meister steht seit einigen Wochen in der Kritik. Ende Februar war eine Studie veröffentlicht worden, die schwere Versäumnisse der Landeskirche im Umgang mit Missbrauchsfällen in Oesede bei Osnabrück belegte. Die betroffene Gemeinde sei auch nach 2020 nicht ausreichend vom Landeskirchenamt unterstützt worden, hieß es darin. Schon damals forderte eine Betroffene, deren Fall in der Studie untersucht wurde, den Rücktritt Meisters.

In dieser Woche veröffentlichten mehr als 200 Pastoren, Diakone und weitere Mitarbeiter der Landeskirche einen Brief, in dem sie den Umgang der Kirchenleitung mit Missbrauch kritisieren. Einen Tag später forderten vier Betroffene in einem weiteren Brief den Rücktritt Meisters. Sie seien von der Landeskirche immer wieder “unprofessionell und unempathisch” behandelt worden, schrieben sie. Und: “Landesbischof Meister hat die Bedeutung des Themas sexualisierte Gewalt nicht erkannt.”

Im offiziellen Teil der Synode gehen weder Meister noch Janz auf die Rücktrittsforderungen ein. Auf einer Pressekonferenz am Rande der Tagung bekräftigt Meister, was er schon in den vergangenen Tagen und Wochen gesagt hat: “Ich bleibe weiterhin in der Verantwortung.” Auf den Brief der vier Betroffenen habe er inzwischen geantwortet und ein Gespräch angeboten.

Auch Janz erklärt auf Nachfrage, dass sie einen Rücktritt Meisters nicht für hilfreich halte. “Ich glaube, dass personelle Veränderungen oft viel mehr Unruhe bringen. Ich denke, wir wollen in dem Themenfeld sexualisierte Gewalt vorankommen.”

In einem weiteren Vortrag warnt die Betroffenenvertreterin unterdessen vor Schnellschüssen. “Vermeiden Sie als Landeskirche, zu schnell loszulaufen.” Für einen Strukturwandel brauche es auch Strukturen, zu denen hin man sich wandeln könne. An solchen einheitlichen Strukturen arbeite gerade das EKD-Beteiligungsforum. Die Vorschläge würden im November vorgestellt. Dann kommt die EKD-Synode, also das bundesweite Kirchenparlament, zur nächsten Tagung zusammen.