Es ist 3 Uhr morgens, als der Wecker für Frishta und ihren Mann Smko klingelt. Die Iraker haben in Horst (Schleswig-Holstein) ein Zuhause gefunden. Das Paar und seine zwei Söhne (14 und 20) flüchteten über die Türkei, Russland, Lettland, Litauen und Polen, bis sie 2015 Deutschland erreichten. „Das war schlimm“, viel mehr will Smko nicht über die Flucht erzählen. Aber der Ex-Soldat war froh, dass er sich und seine Familie vor Kämpfern des „Islamischen Staats“ (IS) in Sicherheit bringen konnte.
Das Paar lernte Deutsch, Smko machte eine Ausbildung zum Mechatroniker und arbeitet heute in einer Werkstatt in Elmshorn. Frishta machte eine Lehre im Einzelhandel, arbeitete bei Aldi, Edeka und etlichen anderen Unternehmen. Später, inzwischen auch stolze Besitzerin eines Führerscheins, begann sie als Angestellte in der Bäckereifiliale im Edeka-Markt in Horst – und machte sich schnell unverzichtbar.
Geflüchtetes Paar will auf eigenen Beinen stehen
Nach zweieinhalb Jahren fragte ihr Chef, ob sie die Filiale übernehmen wollte. „Erst hatte ich Angst vor dieser Aufgabe, aber dann sagte Smko, dass er mich voll und ganz unterstützen würde“, berichtet Frishta. Und das tut er. Die Arbeitstage des Paars sind lang, aber sie sind glücklich, auf eigenen Beinen zu stehen.
Die Zahl der registrierten Schutzsuchenden im ersten Halbjahr 2025 lag in Schleswig-Holstein bei etwa 3.000 Personen. Viele sind schon seit Jahren da, sind längst integriert. Auch in Horst haben sie nicht nur Fuß gefasst, sondern Freunde und Arbeit gefunden. Das ist vor allem der Hilfe der rund 30 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer zu verdanken, die die Neuankömmlinge unterstützen – angeleitet von zwei Frauen im Dienst der Caritas, die ebenfalls nach Deutschland geflüchtet sind: Maryam Partovi und Anya Engel. Die Frauen sind beim Amt Horst-Herzhorn, zu dem zwölf Landgemeinden gehören, für die Betreuung von Geflüchteten zuständig und haben hier ihr Büro.
Netzwerk hilft Geflüchteten
Engel ist Deutsch-Armenierin und studierte Pädagogik, doch ihr Abschluss wurde in Deutschland nicht anerkannt. Partovi, die im Iran einen Bachelor of Arts als Englisch-Übersetzerin machte, floh vor der Scharia nach Deutschland. Sie beraten zu Themen wie etwa Wohnen, Sprachförderung, Arbeit, Gesundheit und Bildung. Die Beraterinnen sind auch präsent, wenn es traumatisierende Erfahrungen, Konflikte oder persönliche Probleme geht. Sie haben ein Netzwerk geknüpft, das Ehrenamtliche bei ihrer Arbeit mit Geflüchteten unterstützt und Kontakte zu Vereinen und Kirchengemeinden herstellt.
Integration kostet Geld, und an dem fehlt es oft. Das beklagt auch Sönke Reimers, Vorsteher des Amts Horst-Herzhorn: „Wir als kleine Gemeinden müssen alle drei Jahre hoffen, dass das Land in der neuen Förderperiode erneut Gelder für die Integration zusagt, etwa für die Arbeit der Caritas.“ Und damit auch für Maryam Partovi und Anya Engel. „Sie nehmen uns in der Verwaltung unglaublich viel Arbeit ab und leisten einen Spitzenbeitrag zur Integration“, lobt Reimers.
Jobsituation: Vielversprechende Zahlen
Was in Horst zu beobachten ist, entspricht dem deutschlandweiten Trend: Immer mehr Geflüchtete nehmen Jobs an. „Obwohl 2015 eine problematische Ausgangslage vorlag, kann man heute, neun Jahre später, sehr positive Zahlen verzeichnen“, sagte Yuliya Kosyakova, Professorin für Migrationsforschung an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Auch dem Ausbildungsmarkt hilft das. Sarah Pierenkemper vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat genaue Zahlen: „Parallel zum Rückgang der deutschen Azubis hat sich die Anzahl der Ausbildungsanfänger mit nicht deutscher Staatsangehörigkeit seit 2009 von rund 30.000 auf knapp 55.000 Personen fast verdoppelt.“
Gleichwohl stellen manche Unternehmen keine Zuwanderer ein. Kosyakova berichtet unter Verweis auf eine neue Studie, „dass Menschen mit Migrationsbezug in Bewerbungsverfahren häufig benachteiligt werden“. Sie verweist auf robuste Befunde aus verschiedenen Ländern und Märkten. Kosyakova resümiert, „dass Betriebe selektiv rekrutieren“. Ebenso zeigten frühere Untersuchungen, dass Jugendliche mit ausländisch klingenden Namen bei der Ausbildungsplatzsuche benachteiligt werden, obwohl viele Stellen unbesetzt bleiben.
Die Söhne von Frishta und Smko sind längst Schleswig-Holsteiner geworden. „Während unser Jüngster noch zur Schule geht, macht unser 20-Jähriger eine Ausbildung zum Lkw-Mechatroniker. Danach will er aber zur Polizei“, erzählt Frishta. Sie ist sich sicher, dass sich beide Kinder ihre Berufsträume erfüllen können.
