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Menschliches Drama ohne politische Tiefe über Konflikt in Südtirol

Das Drama “Zweitland” zeichnet die Geschehnisse rund um die “Feuernacht” 1961 in Südtirol nach – auf ganz persönlicher Ebene.

Südtirol gehört zu den schönsten und eindrücklichsten Landschaften des Alpenraums. Heute erinnert kaum noch etwas an die militanten Auseinandersetzungen, welche das einst zu Österreich-Ungarn gehörende Gebiet, das 1919 Italien zugesprochen wurde, Mitte des 20. Jahrhunderts erschütterten. Hintergrund war der Unmut der deutschsprachigen Bevölkerung, die sich gegenüber der italienischsprachigen Gruppe benachteiligt sah.

Bereits in den 1950er-Jahren bildeten sich kleine Gruppen, die ihre Forderung nach Gleichbehandlung auch mittels Gewalt durchzusetzen versuchten. Einen Höhepunkt erreichten diese Auseinandersetzungen 1961, als Mitglieder der Untergrundorganisation “Befreiungsausschuss Südtirol” im Juni in der Region Bozen 37 Hochspannungsmasten in die Luft sprengten. Diese als “Feuernacht” in die Annalen eingegangene Aktion und die sich daraus entwickelnden Ereignisse bilden den Hintergrund des Dramas “Zweitland” von Michael Kofler.

Der Film beginnt mit einem Ringkampf zwischen zwei Männern. Der Ältere, kampftechnisch etwas Erfahrenere gewinnt, der Jüngere liegt flach. Doch dann schlägt der Unterlegene nochmals zu. Sein Gegenüber steckt den Schlag weg und beschwichtigt. Offensichtlich ist es etwas Persönliches zwischen den beiden, die Anton und Paul heißen und Brüder sind.

Anton Prassler (Laurence Rupp) ist der Ältere. Er fühlt sich Südtirol und der deutschen Sprache verbunden und unterstützt die Aktivisten. Vor einigen Jahren hat er den elterlichen Hof übernommen und ist mit der aus Bozen stammenden Anna (Aenne Schwarz) verheiratet; die beiden haben einen Sohn. Anna ist von Beruf Lehrerin, hat aber keine feste Anstellung und packt auf dem Hof mit an.

Paul (Thomas Prenn) wohnt bei Anton und dessen Familie auf dem Hof. Er ist ein ganz anderer Charakter als sein Bruder, einfühlsam und wie sein Vater künstlerisch begabt. Er möchte an der Kunsthochschule München Malerei studieren. Beworben hat er sich dort schon, als in einer Juninacht, in der Anton nicht zu Hause ist, dumpfe Detonationen die Stille zerreißen. Die bis dahin nur latent schlummernden Meinungs- und Gesinnungsunterschiede beginnen sich fortan zunehmend in bisweilen heftigen Auseinandersetzungen zu manifestieren.

Die Carabinieri sind schnell vor Ort. Sie beginnen zu ermitteln, führen Hausdurchsuchungen durch und verhaften erste Verdächtige. Pauls Warnung verdankt es Anton, dass er sich in letzter Minute nach Österreich absetzen kann. Damit aber zerplatzt Pauls Traum einer Künstlerausbildung. Um die Schwägerin und den Neffen zu unterstützen, bleibt er auf dem Hof und packt mit an. Zum Malen verzieht er sich zwischendurch ins Atelier neben der Scheune.

Der aus der Umgebung stammende Ermittler Lombardo (Francesco Acquaroli), der nicht nur das Gelände, sondern auch die Einheimischen, auch die Familie Prassler, persönlich kennt, besucht Paul und Anna wiederholt auf dem Hof und setzt sie unter Druck. Pauls bester Freund Hans (Fabian Mair Mitterer), Unterstützer der Aktivisten, wird ins Gefängnis geworfen.

Es wäre ein Leichtes gewesen, diesen explosiven und zunehmend wieder aktuellen Stoff um sozialpolitische Auseinandersetzungen als packenden Historienthriller oder geschichtsklitterndes Heldenepos zu erzählen. Doch Michael Kofler, der selbst in Südtirol aufgewachsen ist und sich bereits 2011 mit der Idee trug, darüber einen Film zu drehen, treibt die Frage um, ob und wie man sich engagiert und wie weit man gehen kann, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Die dabei angewandte Gewalt interessiert ihn sehr viel weniger als die Frage nach der (sozial-)politischen Verantwortung jedes Einzelnen. “Zweitland” ist deshalb weder Heldenepos noch Historienthriller, sondern ein erschütternd handfestes, ans Herz gehendes Familiendrama.

Kofler erzählt nahe an den Figuren, an den Körpern und Gesichtern der Schauspieler. Der Film spielt weitgehend auf dem Hof der Prasslers und im nächsten Dorf, insbesondere in der Dorfwirtschaft, wo sich die Wege von unbescholtenen Einheimischen, Aktivisten und den aus Bozen und Mailand stammenden Carabinieri kreuzen und nicht selten ein deutsch-italienisches Sprachgewirr herrscht. Die Handlung spielt in einem engen, auch beengenden Raum, in den Ereignisse von außerhalb oft nur in Gestalt von Boten oder durchs Tal hallender Geräusche gelangen. Einmal begibt sich Paul auf die Suche nach seinem Freund Hans, der im Gefängnis in Bozen gefoltert wird. Ein anderes Mal fahren Paul und Anna mit dem Auto über die Grenze, um Anton zu treffen.

Die Handlung baut sich um die drei zentralen Figuren und ihnen nahestehende Personen auf, die für unterschiedliche politische Haltungen stehen. Während Anton den flammenden Aktivisten gibt, ist Paul der sozial engagierte, aber politisch zurückhaltende Bürger. Freund Hans ist ein vorlauter Mitläufer der Aktivisten, und Annas Freundin Lucia (Catarina Gabanella), die wie sie aus Bozen stammt, ein hilfsbereiter Gutmensch. Die spannendste Figur des Films ist Anna, die im Dorf noch immer als Fremde gilt, obwohl sie seit Jahren mit Anton verheiratet ist. Sie schlägt innovative Ideen vor, etwa zur Lösung des Zweisprachproblems in der Schule, stößt damit aber immer wieder auf Widerstand und manövriert sich zunehmend ins Abseits.

In der Darstellung der politischen Ereignisse des Unabhängigkeitskampfes bleibt “Zweitland” unscharf; weder der Film noch der Regisseur beziehen politisch Position. Sehr genau aber wird die durch diesen Kampf ausgelöste tragische Spirale skizziert und deren Auswirkungen auf die Menschen und ihre Befindlichkeiten. Das ist vor allem den ausdrucksstarken Darstellern zu verdanken, denen es gelingt, ihre Figuren unabhängig von deren politischen Ansichten, wenn nicht immer sympathisch, so doch menschlich erscheinen zu lassen.