Menschenrechtler kritisieren Pushbacks in Kroatiens Wahljahr

Die Aufnahme Kroatiens lag im EU-Interesse – denn nun lag es an Kroatien, die Außengrenze zu sichern, so eine Expertin. Ein Ende der umstrittenen Pushbacks sei dabei nicht veranlasst worden.

„Als ich an der Grenze war, war das das einzige Thema“, erinnert sich Sami Barkal: brutale Übergriffe durch Polizisten. 2014 war der junge Syrer vor dem Terror des IS nach Europa geflohen. An der Grenze zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien kam der Geflüchtete, der inzwischen in Deutschland lebt, erstmals in Kontakt mit der EU-Asylpolitik. Die hatte er sich anders vorgestellt: „Jeden Tag kamen Menschen mit Wunden und gebrochenen Knochen von der Grenze zurück. Ihr Geld und ihre Telefone wurden gestohlen oder zertrümmert. Es war der Wahnsinn.“

Allein 2023 gab es laut dem Danish Refugee Council an der bosnisch-kroatischen Grenze noch mehr als 3.000 sogenannter Pushbacks. Ohne die Migranten nach ihrer Herkunft zu fragen oder ihnen die Chance auf einen Asylantrag zu geben, drängte die kroatische Grenzpolizei sie demnach zurück über die Grenze. Auch an den Grenzen zu Montenegro und Serbien sei die illegale Praxis verbreitet, berichtet Sara Kekus, Migrationsexpertin am Zentrum für Friedensforschung (CMS) in Zagreb.

„Oft laufen Pushbacks gewaltsam ab: Menschen werden geschlagen, geschubst und erniedrigt. Man nimmt ihnen den letzten Schluck Wasser oder die Nahrung ab und leert Getränke über ihren Kopf. Bei Körperdurchsuchungen kommt es zu sexuellen Übergriffen.“ Werden Geflüchtete schon weiter im Landesinneren aufgegriffen, fahre die Polizei sie zurück an die Grenze – oft in Schlangenlinien, bei brütend heißer oder eisiger Temperatur im Wagen, berichtet Kekus: „Das sind Foltermethoden, auf die die Polizei zurückgreift.“

Die Vorfälle sind dokumentiert – neben Aktivisten auch von den Migranten selbst. Für Aufsehen sorgte ein Video, das der damals noch minderjährige Barkal 2018 mit seinem Handy aufgenommen hatte. Darin sind Schreie zu hören, die die Nacht durchdringen. Anschließend kehrt einer seiner Weggefährten mit einer blutigen Nase durchs Gestrüpp von einer missglückten Grenzüberquerung zurück. Er selbst wurde ebenfalls von kroatischen Polizisten aufgegriffen und zurück nach Bosnien verfrachtet. Vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg kämpft der Syrer nun für ein Ende der Praxis. „Diese Entscheidung wird mein Leben nicht mehr viel verändern. Aber ich hoffe, es könnte eine Wirkung für jene haben, die jetzt an der Grenze sind.“

Laut Carsten Gericke, Partneranwalt des Europäischen Zentrums für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) in Berlin, wäre ein positives Urteil bahnbrechend. „Damit würde der Gerichtshof die Behauptungen Kroatiens widerlegen und die Existenz von Pushbacks rechtsverbindlich bestätigen.“ Das Urteil werde zeitnah erwartet.

Für Kroatien ist 2024 ein Superwahljahr. Sowohl bei der nationalen Parlamentswahl als auch bei der EU-Wahl wird Migration das zentrale Thema sein, schätzt die Politologin Kekus. Sie wirft Brüssel Komplizenschaft bei illegalen Pushbacks vor. 2023 trat Kroatien der Schengen-Zone bei. Wiederholt hätten Aktivisten und Experten gewarnt, dass es angesichts von Menschenrechtsverletzungen an der Grenze dafür noch zu früh sei. In Brüssel habe man ihre Rufe ignoriert. „Es war im Interesse der EU, Kroatien aufzunehmen. Denn damit lag es an Kroatien, die Außengrenze zu sichern.“ Statt ein Ende der Pushbacks zu fordern, habe man die kroatischen Behörden bloß angehalten, sie anders zu gestalten: etwas weniger brutal und versteckter für die Augen der Öffentlichkeit.

Kroatien liegt am Ende der Westbalkanroute. Diese bleibt laut der EU-Grenzschutzbehörde Frontex hinter der zentralen Mittelmeerroute die zweitaktivste Migrationsroute des Kontinents. Seit Herbst gibt es neuerlich Grenzkontrollen zwischen Italien, Kroatien und Slowenien. Im Januar bekräftigten die Innenminister der drei Länder bei einem Treffen, verstärkt gegen irreguläre Migration vorgehen zu wollen. Dutzende Menschenschmuggler habe man durch vermehrte Polizeikontrollen bereits aufhalten können.

Warum es neben offiziellen Polizeieinsätzen immer noch illegale Pushbacks gebe? „Weil Europa weder über ein funktionierendes Asyl- noch Integrationssystem verfügt“, meint Kekus. Besserung sei auch durch das kürzlich beschlossene neue EU-Migrations- und Asylpaket nicht in Sicht. Es enthalte zu viele Kompromisse und Zugeständnisse an die Gegner von Migration. Dabei zeuge der Alltag an den EU-Außengrenzen von dringendem Handlungsbedarf, so Kekus; und: „Wir müssen uns überlegen, wie wir Migration wieder sicher und gesetzmäßig machen können.“ Eine Anfrage der Redaktion an das zuständige Ministerium in Zagreb blieb unbeantwortet.