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Menschen schätzen Friedhöfe verstärkt als Orte von Naturerleben

Nach einem Todesfall geht man auf den Friedhof – klar. Doch offenbar ist das nicht immer der Hauptgrund für solche Besuche. Immer mehr Menschen suchen auf Friedhöfen auch Stille oder Naturerlebnisse.

Maxis Grabstein ist geformt wie ein Schmetterling, ein heller Bronzeton auf einer kleinen, grauen Platte. Maxi ist nur sechs Jahre alt geworden. Viele Familien, die ein Kind so früh verlieren – oder deren Kind gar nicht erst lebend zur Welt kommt – nutzen dieses Symbol. Im Griechischen bedeutet das Wort “Psyche” neben “Seele” auch “Schmetterling”; die Hoffnung auf eine freie Seele ist schon seit der Antike mit diesen Tieren verbunden.

Für Tanja Straka ist dies eines von vielen Beispielen dafür, wie Friedhöfe für Mensch, Tier und Pflanzen zur Lebensqualität beitragen können – in diesem Fall mit Trost. Studien zeigen, dass Grün ebenso beruhigend wirkt wie Vogelgezwitscher. “Wildtiere haben einen ähnlichen Effekt. Stress lässt nach, wenn wir mal ein Eichhörnchen beobachten”, sagt die Biologin. In einer nicht-repräsentativen Umfrage, die sie 2022 durchgeführt hat, wurde “wildlife” am häufigsten als wichtige Eigenschaft von Friedhöfen genannt.

Befragt wurden den Angaben zufolge mehr als 600 Personen zu 21 Berliner Friedhöfen. Als bemerkenswert bezeichnet die Forscherin vor allem einen Wandel in der Wahrnehmung: Eine Mehrheit der Befragten nannte Naturerlebnisse als Grund für Besuche auf Friedhöfen; erst auf Platz zwei folgten Trauerfälle. Straka findet das nachvollziehbar, böten Friedhöfe doch im Sommer schattige Plätzchen und rund ums Jahr eine Art Oase inmitten von Alltagstrubel, Lärm und Stress.

Gerade zum November gehört der Gang zum Grab von Verstorbenen für viele Menschen offenbar weiterhin dazu. Das zeigt eine aktuelle, repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov: Mehr als jede und jeder Vierte plante demnach einen Gang auf einen Friedhof an Allerheiligen, Allerseelen, Totensonntag oder an den Tagen rund um diese “Trauer-Feiertage”. 43 Prozent besuchen dagegen nach eigenen Worten niemals Friedhöfe.

In Berlin liegen etwa der Schriftsteller Theodor Fontane oder die Brüder Grimm begraben, es gebe also “also sehr spannende Gräber”, sagt Straka. So überrascht es nicht, dass in ihrer Befragung historisches Interesse an Grabstätten als dritthäufigster Grund für Besuche auf Friedhöfen genannt wurde.

Nicht jeder Ort hat diese Prominenz zu bieten – doch andere Friedhöfe setzen etwa auf nächtliche Führungen, um “noch einmal eine andere Form von Stille zu erleben”. Auch Fledermaus- oder Glühwürmchenführungen werden mancherorts angeboten. Untersuchungen der Biologin haben gezeigt, dass sich auf städtischen Friedhöfen überall Fledermäuse tummeln, unabhängig von der dortigen Vegetation. Für die Tiere seien diese “dunklen Inseln” mit wenig Lichtverschmutzung, die moderat besucht und nachts geschlossen seien, sehr wichtig. Ebenso lebten Eulen, Füchse und Waschbären auf nicht wenigen Friedhöfen.

Für unterschiedliche Bedürfnisse sei es sinnvoll, den “Lebensraum Friedhof” auf verschiedene Weise zu gestalten, erklärt Straka. Dazu zähle die Frage, wie Naturerlebnisse möglich seien, ohne Trauernde oder Ruhesuchende zu stören.

Zugleich bedeuten etwa alte Bäume laut ihrer Umfrage auch Menschen in Trauersituationen viel: Immer wieder sei gesagt worden, dass sie als hilfreich erlebt würden, um mit einem Verlust umzugehen. Alte Bäume und sogar Totholz tragen außerdem zur Artenvielfalt bei. Ebenso seien unter Menschen, die Friedhöfe besuchen, vor allem Blumenwiesen, Lichtungen oder überwucherte Gräber beliebt – letztere würden oft als Symbol für den Kreislauf des Lebens wahrgenommen.

Denkbar sind nach Worten der Forscherin etwa kleine Schilder, die erläutern, welche Vögel oder Blumen auf dem jeweiligen Friedhof zu beobachten seien – oder die dazu anregen, die Sinne zu öffnen. Blumenläden könnten auch insektenfreundliche Pflanzen anbieten, Kapellen verstärkt auf Angebote für gläubige Besucherinnen und Besucher setzen. Eine weitere Idee sind Patenschaften für Gräber, die nicht mehr gepflegt würden, aber erhalten bleiben sollten.