Mehr Kinder wachsen in Armut auf

Kinderarmut bleibt ein Problem: Laut einer Studie steigt die Zahl der Menschen unter 18 Jahren, die in Haushalten mit Grundsicherung leben – erstmals seit fünf Jahren.

2,9 Millionen Kinder in Deutschland gelten als armutsgefährdet
2,9 Millionen Kinder in Deutschland gelten als armutsgefährdetimago images/photothek

Mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland gelten nach Berechnungen der Bertelsmann Stiftung als armutsgefährdet. In absoluten Zahlen sind das knapp 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche sowie 1,55 Millionen Menschen im Alter von 18 bis 25 Jahren, wie es im am Donnerstag in Gütersloh veröffentlichten „Factsheet Kinder- und Jugendarmut“ heißt. Der Studie zufolge gelten Kinder als arm, wenn ihre Eltern über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen oder Leistungen der Grundsicherung erhalten.

„Wer als junger Mensch in Armut aufwächst, leidet täglich unter Mangel, Verzicht und Scham und hat zugleich deutlich schlechtere Zukunftsaussichten“, sagte Anette Stein, Direktorin des Programms Bildung und Next Generation bei der Bertelsmann Stiftung. Die derzeitigen Krisen und Preissteigerungen verschärften das Problem. Stein appellierte an die Bundesregierung, die geplante Kindergrundsicherung zügig zu beschließen, um „gezielt denjenigen helfen, die besonders darauf angewiesen sind“.

Ukrainische Flüchtlinge mit einberechnet

Für die Studie wurden den Angaben zufolge unter anderem auch aktuelle Daten der Bundesagentur für Arbeit zu Kindern und Jugendlichen, deren Familien staatliche Unterstützung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II beantragt haben, aus dem Sommer 2022 herangezogen. Die Statistiken zeigten, dass sowohl die Anzahl als auch der Anteil von Kindern in SGB-II-Haushalten erstmals seit fünf Jahren deutlich gestiegen sei, hieß es. Die Studien-Autorinnen führen die Zunahme vor allem auf die aus der Ukraine geflüchteten Kinder und Jugendlichen zurück. Ukrainische Kriegsflüchtlinge haben seit dem 1. Juni 2022 Anspruch auf Grundsicherung.

Demnach lebten im vergangenen Sommer rund 1,9 Millionen junge Menschen unter 18 Jahren in Haushalten mit SGB-II-Bezug. Die Quote betrug im Juni 2022 in Westdeutschland 13,4 Prozent und in Ostdeutschland 16 Prozent. Der Studie zufolge ist die Armut in den Städten deutlich stärker ausgeprägt: Die höchste Quote weist die konjunkturschwache Ruhrgebietsstadt Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen mit 41,7 Prozent auf.

Auch die norddeutschen Städte Bremerhaven (36,3) und Bremen (30,9) haben hohe Quoten von Kindern und Jugendlichen im SGB-II-Bezug. Weit unter zehn Prozent bleiben dagegen häufig ländliche Regionen wie Roth in Bayern (2,7), Biberach in Baden-Württemberg (5,2) oder Eichsfeld in Thüringen (6,6).

Alleinerziehende besonders betroffen

Besonders betroffen von Armut sind Haushalte von Alleinerziehenden und Eltern mit mehr als drei Kindern. Die in diesen Fällen sehr aufwendige Sorge- und Betreuungsverantwortung mache es den Eltern oftmals unmöglich, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen, hieß es. Das größte Armutsrisiko hätten Kinder in Mehrkindfamilien mit einem alleinerziehenden Elternteil (86 Prozent). Hier stützen sich die Studien-Autorinnen auf Daten des Statistischen Bundesamtes aus dem Mikrozensus sowie der Bundesagentur für Arbeit von 2021.

Auch viele junge Erwachsene seien mit Armut konfrontiert, hieß es weiter. So wiesen die 18- bis 25-Jährigen im bundesweiten Vergleich mit 25,5 Prozent sogar das höchste Armutsrisiko aller Altersgruppen auf. Frauen seien dabei stärker betroffen als Männer, junge Menschen in Ostdeutschland häufiger als die in Westdeutschland.

SGB-II-Leistungen bezögen nur sieben Prozent dieser Altersgruppe, was auf den ersten Blick überrasche, sagte Anette Stein. Das liegt ihren Worten zufolge hauptsächlich daran, dass junge Erwachsene für gewöhnlich eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren und erstmals allein leben. Sie beantragten entsprechend andere Leistungen wie BAföG oder Wohngeld. „Die hohe Armutsbetroffenheit junger Erwachsener weist jedoch darauf hin, dass die verschiedenen Systeme nicht gut zusammenwirken“, betonte die Expertin der Stiftung.