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Mehr Gleichberechtigung im Alltag – So kann es gelingen

Von “Mansplaining” bis Care-Arbeit: Evelyn Höllrigl Tschaikner gibt alltagstaugliche Tipps, um alte Rollenbilder zu hinterfragen. Gleichberechtigung, so ihr Credo, gelte es Schritt für Schritt zu leben.

Feminismus ist kein Thema mehr? Dann sollte Frau mal ihren Arm auf die Lehne in der Bahn oder im Flugzeug legen. Oder sich bei einem wichtigen Meeting ganz vorne positionieren. Vielleicht sich breitbeinig wie ein Mann hinsetzen? Frauen tut meist schon die Vorstellung weh, sich so zu verhalten – Männer tun es einfach. Sie nehmen selbstverständlich den Raum ein, der ihnen zur Verfügung steht, sagt die österreichische Autorin Evelyn Höllrigl Tschaikner in ihrem Buch “The Daily Feminist”, das vor kurzem erschienen ist.

Sie plädiert daher für Mikrofeminismus im Alltag. Konkret heißt das: Mikrofeminismus ist eine andere Perspektive, “die anerkennt, dass Veränderung nicht nur auf Bühnen und in Reden entstehen muss, sondern auch in Gesten, Gesprächen und Entscheidungen. In Gedanken, die im Alltag beginnen”. Das Schlagwort stehe für die kleinen Handlungen, die den Moment markieren, in dem Frauen einfach aufhören, Dinge hinzunehmen. Daher gibt sie in ihrem Buch 199 Handlungstipps für Gleichberechtigung im Alltag. Ihr Ziel: dass Frauen den Platz einnehmen, der ihnen zusteht und Männer lernen, ihr Handeln und Sprechen zu reflektieren.

Dazu gehört beispielsweise für Frauen, laut und klar zu sprechen. Wie laut das Sprechorgan meist klingt, sagt die Autorin, hat nicht nur etwas mit der Persönlichkeit zu tun, sondern auch mit Sozialisation, mit Machtverhältnissen und verinnerlichten Rollenerwartungen: Wer laut und klar spreche, der könne präsent sein und der eigenen Position Gewicht geben.

Mikrofeminismus bedeutet zum Beispiel, bei Unterbrechungen nicht klein beizugeben, sondern ruhig zu sagen: “Ich spreche gerade.” Auf diese Weise habe Kamala Harris im vergangenen US-Wahlkampf ihren Raum zurück gefordert, stellt Höllrigl Tschaikner fest. In gemischten Gruppen forderten Männer laut Studien 75 Prozent mehr Redezeit als Frauen ein – und unterbrechen deutlich häufiger. Sich nicht unterbrechen zu lassen, betont die Autorin, “ist eine Entscheidung, die eigene Stimme und sich selbst ernst zu nehmen”.

In diesen Zusammenhang gehört auch zu benennen: “Das war doch ihre Idee”, wenn Frauen-Gedanken von Männern wiederholt werden und erst dann Zustimmung erfahren, erklärt Höllrigl Tschaikner weiter. Das Problem sei nicht, dass nur Männer kluge Dinge sagen, sondern, dass Dinge oft erst dann als klug gelten, wenn sie von Männern kommen. Dafür gibt es eigene Begriffe: “Bropriating” oder “Herepeating”, wenn Männer sich – vielleicht auch unbewusst – die Ideen von Frauen aneignen und dafür Anerkennung ernten.

Bekannter ist das Phänomen des Mansplainings: wenn ein Mann ungefragt Dinge erklärt, in denen sich die Frau womöglich sogar besser auskennt. Ein berühmtes Beispiel ereignete sich im vergangenen Jahr: Ein MaNn erklärte der berühmten kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood auf X ihr eigenes Buch “The Handmaid’s Tale”. Wie geht man damit um? Höllrigl Tschaikner schlägt vor, gezielt zu fragen: “Worauf basiert dein Wissen?” Manchmal helfe es auch, das Verhalten direkt zu spiegeln: “Erklärst du das auch Männern oder nur mir?”

Wer will, dass es zukünftig gerechter zugeht, muss zudem Erziehungsarbeit gleichberechtig verteilen. Mikrofeminismus heißt daher auch, Kindern vorzuleben, dass sich alle am gemeinsamen Haushalt beteiligen, mahnt die Autorin. Denn Kinder beobachteten das Verhalten der Eltern und lernten früh, wer wofür zuständig sei: “Was wir ihnen im Alltag zeigen, wird für sie zur Normalität.” Diese Prägung wirke in späteren Beziehungen weiter, im Beruf und in der eigenen Elternrolle.

Höllrigl Tschaikner betont den Wert von Care-Arbeit, die in den allermeisten Fällen von Frauen geleistet wird. Sie ist ein entscheidender Grund, warum so viele Frauen in Teilzeit arbeiten. Diese Form von Arbeit müsse, fordert die Expertin, als das verstanden werden, was sie ist – nämlich eine Doppelbelastung. Menschen brauchen andere Menschen, die sich um sie kümmern – und: Menschen brauchen Einkommen. Daraus folgert die Autorin: Arbeitsbedingungen müssen menschenfreundlich sein.

Mikrofeminismus kann auch sein, Dinge einmal anders herum zu tun. “Wusstet ihr, dass die ersten Blumen, die viele Männer in ihrem Leben bekommen, auf ihrem Grab liegen?”, fragt Höllrigl Tschaikner. Sie finde das zutiefst traurig und argumentiert: Wenn Blumen ein Zeichen von Anerkennung oder Respekt seien, dann sollten wir sie auch den Männern in unserem Leben schenken. Denn sie verdienen das Schöne ebenfalls – vielleicht gerade, weil man es ihnen so selten zugestehe.