Mehr als eine Nummer im Gefängnis

Weihnachten fehlen vielen Häftlingen Kontakte zu Freunden und Familie mehr als sonst. Es sei eine besondere Zeit, erzählen drei Männer aus der JVA Uelzen. Da helfe es, wenn ihnen Menschen Pakete schickten – als Zeichen, dass sie nicht vergessen sind.

Ein Häftling zeigt eines der Pakete
Ein Häftling zeigt eines der PaketeKaren Miether / epd

Uelzen / Celle. Susanne Jacob schließt die schwere Metalltür auf. Der lange Gang dahinter mit den Zellen rechts und links ist mit einem Tannenbaum und Zweigen geschmückt. Die stellvertretende Anstaltsleiterin öffnet den Kirchenraum der Gefängnisseelsorge in der JVA im niedersächsischen Uelzen, auch dort steht ein Weihnachtsbaum, Kerzen leuchten am Adventskranz. Vor einer hölzernen Krippe stapeln sich gut 40 Pakete. Menschen aus vielen Orten Deutschlands haben sie gespendet. Vermittelt durch die christliche Straffälligenhilfe „Schwarzes Kreuz“ wollen so Frauen und Männer Gefangenen in bundesweit 39 JVAs zu Weihnachten eine Freude machen.

„Trotz Corona und Alltagsstress haben sie an uns gedacht“, sagt der Häftling R., während er vorsichtig den Deckel eines Kartons öffnet. „Da fühlt man sich als Mensch und nicht nur als eine Nummer im Gemäuer.“ Mit seinen beiden Mithäftlingen M. und L. und der katholischen Gefängnisseelsorgerin Martina Forster will der 28-Jährige den Inhalt der Pakete neu sortieren. Möglichst jeder Gefangene in der JVA mit rund 250 Haftplätzen soll von den Lebens- und Genussmitteln wie Kaffee, Keksen, Salzgebäck oder auch Tabak etwas abbekommen. Auch die Seelsorge der JVA gibt noch Geschenke dazu.

Wie ein Wichtelwerkstatt

Bei Kaffee, Tee und Spekulatius machen sich die vier ans Werk. „Es ist wie eine Wichtelwerkstatt hier“, sagt Forster mit einem Schmunzeln. Und der rothaarige L. fügt an: „Es freut mich, für andere etwas zu tun.“ Weihnachten ist in Haft die Stimmung anders als sonst, sind sich die drei Männer einig. „Ich denke viel mehr an draußen, an die Familie“, sagt der 50-jährige M., für den es wie für die anderen nicht der erste Heiligabend in der JVA sein wird. Damit das Coronavirus nicht eingeschleppt wird, sind zudem momentan Lockerungen nicht möglich, von denen er sonst profitiert hätte – wie ein Besuch zu Hause.

Besucher hinter der Trennscheibe

Ein halbes Jahr lang konnten die Häftlinge niemanden empfangen, ein weiteres dreiviertel Jahr nur hinter einer Trennscheibe, berichtet Susanne Jacob. Jetzt sind Besuche für Geimpfte und Genesene mit Test oder Booster möglich, aber nicht mit Körperkontakt. Notwendige Vorsicht, sagt Jacob, „aber auch eine Einschränkung, die weh tut“. M. reicht das so nicht: „Für meine Partnerin und mich wäre das nicht denkbar“, betont er. Lieber hält er über das Telefon in seiner Zelle Kontakt, auf dem ihre Nummer zu den von der Anstalt freigeschalteten gehört.

Die stellvertretende Anstaltsleiterin Susanne Jacob im geschmückten Zellentrakt
Die stellvertretende Anstaltsleiterin Susanne Jacob im geschmückten ZellentraktKaren Miether / epd

Die Corona-Krise hat die Einsamkeit im Gefängnis noch verschärft, sagt Adrian Tillmanns vom Vorstand der Evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge. So müssen in Bielefeld, wo er als Seelsorger tätig ist, frisch Inhaftierte zunächst 14 Tage in Quarantäne, so wie auch in Niedersachsen. „Das hat das sowieso reduzierte Leben noch einmal eingeschränkt“, sagt er. Er erzählt von einem Mann, dem er eine Weihnachtstüte in die Hand gedrückt hatte und der heulend in der Zelle saß. „Er fühlte sich von Gott und der Welt verlassen, mit einem Geschenk hat er nicht gerechnet.“

In Uelzen hofft der 28-jährige L. darauf, dass bei einem der nächsten Besuche seine Tante die Mutter begleiten wird. „Es scheint, dass sie sich annähern möchte“, sagt der Rothaarige. Nach seiner Tat habe sie sich von ihm abgewendet, so wie seine Freunde auch und er könne das verstehen. „Meine Mutter ist der einzige Kontakt, den ich zur Außenwelt habe.“ L. gilt im Kirchenteam in der JVA als guter Bäcker, auch Vize-Anstaltsleiterin Jacob schwärmt von seinem Apfel-Marzipan-Kuchen nach dem Rezept der Oma. Doch fehlten ihm Gespräche mit Menschen außerhalb der Mauern, sagt er.

Mehr als 1.600 Pakete gepackt

Das „Schwarze Kreuz“ in Celle beschert seit 1953 Menschen in Gefängnissen und ist damit Vorreiter von Aktionen, die Hoffnungszeichen setzen wollen, unabhängig davon, was jemand verbrochen hat. Im vergangenen Jahr wurden Deutschlandweit so viele Pakete verteilt wie nie zuvor, sagt die Sprecherin der Organisation, Ute Passarge. „In diesem Jahr haben wir mit mehr als 1.600 einen neuen Rekord.“ Einige Spenderinnen und Spender packen gleich mehrere Kartons. Viele legen Grußkarten bei, ohne zu wissen, bei wem das Paket landet.

Der 28-jährige R. freut sich schon auf Süßigkeiten, die sich zumeist in den Paketen finden. Dominosteine sind seine Favoriten. „Die gehen immer“, sagt er – auch wenn wie im vergangenen Jahr an Heilig Abend gleich zwei üppige Mahlzeiten serviert wurden: Würstchen und Kartoffelsalat und am Abend noch ein Gänsebraten. Er greift nach einer Grußkarte, die obenauf in einem der Kartons liegt. „Es geht aufwärts“, hat jemand geschrieben: „Ich hoffe, dass du einen guten Weg findest, wieder auf die Füße zu kommen.“ (epd)