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Mehr als ein freier Tag

„Zu Pfingsten sind die Geschenke am geringsten“, spottete einst Bert Brecht. Dabei hat mehr Geist noch kaum jemandem geschadet. Pfingsten für Anfänger

biker3 - Fotolia

Es gibt Tage, die die Bundesbürger sehr gern mögen – auch wenn sie meist gar nicht verstehen, warum sie nicht zur Arbeit müssen: kirchliche Feiertage. So wird aus dem Todestag Jesu Christi, dem Kar-Freitag (althochdeutsch für „Kummer“ oder „Klage“) der „Car-Freitag“, der für Raser und Autoschrauber die Saison der illegalen Straßenrennen einläutet. Auch andere Kirchenfeste sind heute vor allem Grill- und Event-Tage: Christi Himmelfahrt, auch als „Vatertag“ bekannt, oder Fronleichnam (mittelhochdeutsch „Herrenleib“), ein mittelalterliches Schaufest zu Ehren des Leibes Christi. Oder Pfingsten. Pfingsten – was soll das eigentlich?

Nur „Geist“ – das ist schwer zu fassen

Anders als die touristischen Migrationsströme unserer Tage suggerieren könnten, entstand Pfingsten nicht im niederländischen Zeeland. Man muss zurückgehen in den schillernden religiösen Kosmos des antiken Nahen Ostens, um die Entstehung dieses Festes der Ausgießung des Geistes verstehen zu können. Wie schon der Aggregatzustand von „Geist“ nahelegt, ist Pfingsten schwer zu fassen: keine Deko, kein Produkt-Marketing. Nur „Geist“… Geht es da mit rechten Dingen zu?
Zeitlicher Ankerpunkt für das christliche Osterfest, die Auferstehung Christi, war das jüdische Pessach-Fest, das Jesus beim sogenannten Letzten Abendmahl am Gründonnerstag in Jerusalem mit seinen Jüngern feierte. Es war der Vorabend seiner Kreuzigung. 50 Tage nach Pessach (pentekoste = griechisch „fünfzig“, verballhornt deutsch „Pfingsten“) feierten die Juden „Schawuot“, das sogenannte Wochenfest – eben sieben Wochen nach Pessach. Schawuot ist zugleich ein Erntedankfest, da es den Abschluss der mit Pessach beginnenden Weizenernte markiert.
Die Jünger Jesu, die natürlich weiter den jüdischen Festkalender pflegten, waren an diesem Tag in einem Haus versammelt. Die Apostelgeschichte berichtet, wie sie durch das Pfingstwunder „mit Heiligem Geist erfüllt wurden und begannen, mit anderen Zungen zu reden“. Jeder in Jerusalem, auch die Fremden aus anderen Ländern, konnten sie in ihrer Sprache reden hören.
Dieses sogenannte Sprachenwunder, das als das Geburtsfest der Kirche gilt – damals wuchs die Jerusalemer Gemeinde nach biblischem Zeugnis von 120 auf über 3000 an –, deuten Theologen so, dass die Verkündigung der christlichen Botschaft Bedeutung für die ganze Welt habe und also überall verkündet werden solle. Der Geist als eine der drei Personen Gottes ist in die Welt gesandt, um die Botschaft Christi lebendig zu halten. Diese „Ausgießung des Geistes“ ist zugleich Kraftquelle und Verkündigungsauftrag für alle Christinnen und Christen sowie der Abschluss der 50-tägigen Osterzeit.

Zungenreden – ein Fall für den Arzt?

Die ekstatische Zungenrede der Apostel werten manche Religionswissenschaftler nicht als ein einmaliges Ereignis, sondern sehen sie in Zusammenhang mit der jüdischen Prophetie. Das jüdische Wochenfest mit Erntedank sei oft in bacchantischer Sinnenfreude gefeiert worden – und habe, in Anlehnung an den biblischen Propheten Joel, auch Traditionen religiöser Begeisterung oder Raserei hervorgebracht, etwa durch Gesänge oder derwischartige Tänze. Auch die christliche sogenannte Didache, eine wohl syrische Kirchenordnung des späten 1. oder 2. Jahrhunderts, kennt noch christliche Prophetie in Zungenrede. Den Propheten sei es erlaubt, nach der Eucharistiefeier „Dank zu sagen, soviel sie wollen“.
Was die Apostelgeschichte aus dem religiös aufgeheizten Jerusalem vor 2000 Jahren berichtet, ist heute freilich nicht mehr eins zu eins zu übertragen. Wer, wie die Jünger Jesu, heute glossolalierend, also ohne vernehmbaren Sinn sprechend, durch die Straßen liefe, würde im besten Fall belächelt, im schlechtesten wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen. Selbst damals fühlte sich der Apostel Petrus genötigt zu beteuern, dass diese Männer nicht „vom süßen Wein betrunken“ seien, sondern dass sich hier die Prophetie des Joel erfülle.
Manche christlichen Pfingstgemeinschaften sprechen heute vom „Fehler des Aufhörens“ – und meinen die moderne rationalistische Ablehnung religiöser Ekstase und eine Verschließung gegenüber göttlichen Offenbarungen, etwa im Gottesdienst. Doch gleichgültig, wie man solche Formen religiöser Entäußerung bewertet: Mehr internationale Verständigung und etwas zusätzlicher Geist können gerade unserer Zeit sicher nicht schaden.