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Medizinhistoriker relativiert Albert Schweitzers Verdienste

Albert Schweitzer gilt als Vorbild. Berühmt wurde er als “Urwalddoktor” in Afrika. Doch dort habe ein “patriarchales System” und eine weitgehende Trennung von Schwarzen und Weißen geherrscht, so ein Medizinhistoriker.

Der Medizinhistoriker Hubert Steinke hat die Verdienste des deutsch-französischen Theologen, Arztes und Philosophen Albert Schweitzer (1875-1965) relativiert. Sein Engagement im afrikanischen Lambarene, wo er 1913 sein berühmtes Krankenhaus gegründet hatte, sei zwar mit dem Friedensnobelpreis von 1952 gewürdigt worden. Dennoch habe in Lambarene “ein ganz klar patriarchales System” geherrscht. Außerdem sei Schweitzers Rhetorik, vor allem der späteren Jahre, “eminent kolonialistisch” gewesen, sagte Steinke der Zeitschrift “Publik-Forum” (Freitag).

Lambarene sei zwar als “Hilfe von Menschen für Menschen” konzipiert gewesen und habe für die lokale Bevölkerung durchaus eine besondere Bedeutung gehabt. Aber dort habe “weitgehende Rassentrennung” bestanden. Für eine Zusammenarbeit von Weißen und Schwarzen sei auch Lambarene “kein Idealbild” gewesen, sagte Steinke, der Direktor des Instituts für Medizingeschichte an der Universität Bern ist.

Schweitzers Hauptziel habe auch nicht darin bestanden, Hilfe nach Afrika zu bringen. Vielmehr habe er “ein Symbol für die Welt” schaffen wollen. “Der Hauptadressat dieses Spitals waren nicht die afrikanischen Kranken, sondern die europäischen Leserinnen und Leser”, so Steinke. Schweitzer sei es vor allem um die “westliche Zivilisation” gegangen, die er zu einer Besinnung und zu einer Abkehr vom kapitalistischen Denken aufrufen und zu einer Ehrfurcht vor dem Leben habe führen wollen.

Der viel beschworene “Geist von Lambarene” sei ein Mix aus Herzlichkeit und Patriarchat gewesen. Schweitzer habe dort versucht, “eine Familie in einem einheitlichen Geist zu schaffen”. Dazu hätten aber nur Weiße gehört. Wer nach Lambarene kommen wollte, habe ein starkes Arbeitsethos und die Bereitschaft mitbringen müssen, “sich dem System fraglos unterzuordnen”, so Steinke. Die Harmonie habe nicht gestört werden dürfen – etwa durch Kritik an der Organisation. “An der Spitze stand Albert Schweitzer als Patriarch, der entschied, was gemacht wurde und was nicht”, sagte Steinke.

Schweitzer wurde vor 150 Jahren, am 14. Januar 1875, im elsässischen Kaysersberg geboren. Er gilt als Universalgenie und war Tropenmediziner, evangelischer Theologe, Religionsphilosoph, Bach-Interpret an der Orgel, Kulturkritiker und Schriftsteller. Er wurde bislang neben Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Mutter Teresa zu den großen Vorbildern des 20. Jahrhunderts gezählt.