Zum Gedenktag für Drogentote am Montag kritisiert die Mannheimer Suchthilfestelle Drogenverein die deutsche Drogenpolitik als ideologisch. Der Anstieg junger Drogentoter sei alarmierend.
Am 21. Juli gibt es in vielen deutschen Städten Info- und Gedenkveranstaltungen, um an die durch Drogenkonsum gestorbenen Menschen zu erinnern. 2024 waren es 2.137 Drogentote. Leitwort des Gedenktags ist “Überdosierung und Drogentod können alle Menschen (be-)treffen”. Der Leiter der Mannheimer Suchthilfe-Einrichtung Drogenverein, Philip Gerber, spricht sich im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) für neue Wege in der Drogenpolitik aus. Dazu zählten auch Abwassertests auf Drogenspuren.
Frage: Herr Gerber, die Zahl der Drogentoten ist 2024 bundesweit um 90 auf knapp 2.140 gesunken. Das ist doch eine gute Nachricht?
Antwort: Die Entwicklung ist nur für 2024 positiv. Über einen längeren Zeitraum betrachtet ist das Bild nämlich ein ganz anderes: Die Kurve steigt, die Drogentoten werden mehr.
Frage: Woran liegt das?
Antwort: Seit der Machtübernahme der Taliban haben sich die Anbauflächen für Opium in Afghanistan extrem reduziert. Das hat weltweit zu einer Heroinknappheit geführt. Auch das klingt vielleicht zunächst nach einer guten Nachricht, ist es aber nicht. Denn Heroin wird seitdem vermehrt durch synthetische, also im Labor produzierte Opioide ersetzt. Die sind besonders gefährlich, weil sie eine wesentlich höhere Potenz haben. Schon kleine Mengen können eine Überdosierung zur Folge haben.
Hinzu kommt, dass sich die Vertriebswege geändert haben: Die Bezugsquelle Internet funktioniert schnell und über alle Grenzen hinweg. Das ließ sich gut in der Corona-Pandemie beobachten: Während das Toilettenpapier knapp wurde, hatten sich die Drogenmärkte innerhalb einer Woche wieder organisiert. Das zeigt, was wir in der Suchthilfe schon lange sagen: Die Repression, das alleinige Kriminalisieren von Drogenkonsum ist gescheitert.
Frage: Was ist dann der Weg, um das Drogenproblem in den Griff zu bekommen?
Antwort: Ein Mischweg. Drogenmärkte sind anpassungsfähig, und die Margen sind so hoch, dass sich das Geschäft lohnt. Polizeilicher und rechtlicher Druck ist wichtig, Gesetze sollen eingehalten werden. Aber das ist nicht alles. Wünschenswert wären Abwasseranalysen, um feststellen zu können, wo welche Drogen konsumiert werden. Dringend notwendig wäre auch, Naloxon freizugeben, ein Medikament, das bei Überdosierung Leben retten kann. Dann könnten es auch Angehörige und Einrichtungen wie unsere erwerben.
Wir fordern auch, niederschwellig Möglichkeiten zum Drug Checking anzubieten. Dabei können Drogenkonsumenten ihre Substanzen abgeben und auf gefährliche Beimischungen kontrollieren lassen.
Frage: Diese Idee ist politisch höchst umstritten – Drogen checken, um sicherer konsumieren zu können?
Antwort: In der Tat wird in der Debatte um Drug Checking immer angeführt, dass dadurch Anreize geschaffen werden könnten. Das ist aus unserer Erfahrung nicht richtig. Außerdem werden junge Menschen, von denen man weiß, dass sie zu riskantem Verhalten neigen, auch in anderen Bereichen unterstützt, um die Gefahren zu mindern. Motorradfahrern beispielsweise würde man ja auch keine Schutzkleidung oder den Helm vorenthalten.
Frage: Mit anderen Worten: Drug Checking mindert das Risiko, stellt aber keinen Anreiz zum Drogenkonsum dar?
Antwort: Das Drug Checking ist ein gutes Beispiel dafür, wie ideologisch die Drogendebatte in Deutschland geführt wird. Das mit Abstand größte Drogenfest der Bundesrepublik findet im Herbst in München statt und nennt sich Oktoberfest. Das eine ist für uns eine gefährliche Droge, das andere, Alkohol und Rauchen, Folklore.
Frage: Ein trauriger Trend ist, dass unter den Toten immer mehr junge Menschen unter 30 Jahren sind. Ihre Zahl stieg 2024 um 14 Prozent. Wie kann das sein?
Antwort: Das liegt zum einen an der hohen Verfügbarkeit von im Labor hergestellten Substanzen, zum anderen neigt ein Teil der jungen Menschen zu einem riskanten Probierkonsum. Eine Gruppe von ihnen wird als Psychonauten bezeichnet, die ein großes Wissen um die Substanzen haben, sich im Grunde gut auskennen, aber die immer weiter ins Risiko gehen. Bis es dann zu spät ist.
Die alternde Opioidszene macht aber immer noch den größten Teil der Drogentoten aus. Wobei wir am Drogentotengedenktag an diesem Montag auch jene mit einschließen, die an den Folgeerkrankungen ihres teils jahrzehntelangen Konsums gestorben sind. Die jüngeren Toten werden aber mehr.