Malu Dreyer: Feministin, Katholikin und Frau der Macht

Malu Dreyer wurde 2013 Ministerpräsidentin, gewann zwei Landtagswahlen. Nun nimmt die 63-Jährige Abschied und übergibt am Mittwoch das Amt an Arbeitsminister Alexander Schweitzer.

Malu Dreyer ist eine der profiliertesten Politikerinnen in Deutschland, immer wieder wurde sie auch für bundespolitische Ämter ins Spiel gebracht. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) würdigte sie im Juni als eine beliebte Politikerin, mit der er stets eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet habe. Sie wirkte unter anderem über den Bundesrat und als Medienpolitikerin bei Debatten in Deutschland mit. Doch Dreyer blieb ihrem Bundesland treu und zog es vor, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz zu bleiben, wo sie bei zwei Landtagswahlen wiedergewählt wurde. Am Mittwoch verabschiedet sie sich von der großen politischen Bühne.

“Ich gehe mit schwerem Herzen, weil ich mir eingestehen muss, dass meine Kraft nicht mehr ausreicht”, begründete die 63-Jährige Mitte Juni ihren Schritt. Sie sei dem “lieben Gott immer dankbar” für die Energie, doch jetzt spüre sie diese nicht mehr im ausreichenden Maße für die Aufgaben einer Regierungschefin. Sie sprach von einem sehr anspruchsvollen Amt: “Ich bin einfach nur müde”, sagte Dreyer in einer persönlichen Erklärung. Die Entscheidung zum Rücktritt fiel im Europa- und Kommunalwahlkampf, wie Dreyer schilderte.

Persönliche Anliegen waren für Dreyer, die ihren eigentlichen Vornamen Marie-Luise kurz zu Malu zusammenfasst, die Gleichberechtigung der Frauen und Reformen in der Kirche. Als langjähriges Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) konnte sie beide Anliegen verbinden. “Als katholische Christin überzeugt mich das Argument, dass nicht der Zugang von Frauen zu kirchlichen Diensten und Ämtern begründungspflichtig ist, sondern deren Ausschluss. In meinen Augen ist der Zugang von Frauen zu Weihe-Sakramenten längst überfällig”, sagt sie.

Dreyer konnte mit klarer Haltung und zugewandtem Auftreten über Parteigrenzen hinweg Menschen überzeugen. Ihr freundliches Lächeln war ansteckend. Viele in der SPD wollten sie gerne auch stärker auf bundespolitischer Bühne sehen, doch es blieb bei einem Gastspiel: Nach dem Rücktritt von Parteifreundin Andrea Nahles wurde Dreyer 2019 für einige Monate Teil eines Trios an der Parteispitze und moderierte einen Neustart.

Die Sozialdemokratin hat das Scheitern ihres Amtsvorgängers Kurt Beck (SPD) als Bundesparteivorsitzender erlebt und stand für dieses Amt nicht dauerhaft zur Verfügung. “Jeden Tag habe ich versucht dieser, meiner Partei im besten Sinne zu dienen”, sagte die scheidende Ministerpräsidentin bei ihrer Verabschiedung in der Berliner SPD-Parteizentrale. Sie sieht sich der Demokratie in Deutschland verpflichtet und warb zuletzt am Freitagabend bei einem Pressefest in Mainz für die Meinungsfreiheit und ein friedliches Miteinander.

Die größte Krise im politischen Leben war allerdings eine Naturkatastrophe. Beim Hochwasser im Ahrtal im Juli 2021 gab ihre Landesregierung keine gute Figur ab; weit mehr als einhundert Menschen verloren damals ihr Leben. Ex-Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) trat in der Folge als Bundesfamilienministerin zurück, auch Landesinnenminister Roger Lewentz gab sein Amt auf – er behielt allerdings den Vorsitz der SPD in Rheinland-Pfalz.

Auch Dreyer blieb im Amt. Viele vermissen bis heute eine Entschuldigung der Ministerpräsidentin für das Geschehen im Ahrtal. “Sondern es ist tatsächlich so, dass ich davon überzeugt bin, dass ich für eine Naturkatastrophe keine Schuld trage und mich deswegen auch gar nicht entschuldigen kann”, sagte sie am 19. Juni im SWR-Fernsehen.

Dreyer, die seit Jahrzehnten an Multipler Sklerose erkrankt ist, ist Tochter eines Schuldirektors und einer Erzieherin und wurde in Neustadt an der Weinstraße geboren. Sie studierte katholische Theologie und Anglistik, wechselte später zur Rechtswissenschaft und wurde Staatsanwältin in Bad Kreuznach. 1995 wurde sie kurz vor ihrem Eintritt in die SPD als Parteilose zur hauptamtlichen Bürgermeisterin gewählt. Ab 1997 war sie Sozialdezernentin der Landeshauptstadt Mainz. 2002 wurde sie Sozialministerin in Rheinland-Pfalz.

Am Mittwoch wird sie mehr als zehn Jahre Regierungschefin in Rheinland-Pfalz gewesen sein. Sie folgte im Januar 2013 auf den Pfälzer Beck und rückte an die Spitze einer rot-grünen Koalition. Seit rund acht Jahren regiert sie mit den Grünen und der FDP in einer Ampel-Koalition, galt damit als Vorbild für den Bund. Bundesverkehrsminister Volker Wissing war als Minister in Mainz ihr langjähriger Stellvertreter.

Privat lebt Noch-Politikerin Dreyer zusammen mit Ehemann und Ex-Staatssekretär Klaus Jensen in einem inklusiven Wohnprojekt in Trier unweit der Mosel. 2022 erlitt der Ex-SPD-Politiker und Ex-Oberbürgermeister von Trier einen Herzinfarkt, den er nach eigener Darstellung durch Glück überlebte.